#1

Gravida 6, Para 1

in Eure Geschichte 06.08.2021 11:03
von Lisa • 2 Beiträge | 2 Punkte

Ich habe mich während meines Krankenhausaufenthaltes im Zuge meiner fünften Fehlgeburt im Mai dieses Jahres hier im Forum angemeldet und finde nun endlich die Zeit, mich Euch vorzustellen.

Ende 2016 bin ich nach einer komplikationslosen Schwangerschaft und Geburt Mama unserer kleinen Tochter geworden. Sie ist das Geschenk meines Lebens!
Mein Partner und ich kommen beide aus kinderreichen Familien und uns war klar, dass sie nicht unser einziges Kind bleiben sollte. Dennoch wollten wir uns zunächst voll auf sie konzentrieren und gingen das Projekt Geschwisterchen bewusst erst nach ihrem zweiten Geburtstag an.
Als wir im Mai 2019 endlich den Test mit dem heißersehnten zweiten Streifen in den Händen hielten war die Freude groß. Die Frühschwangerschaft verlief erneut problemlos und auch das Ersttrimesterscreening in der 14. SSW war unauffällig. Beim nächsten Kontrolltermin im August 2019 machte die Ärztin auf meinen Wunsch hin außer der Reihe einen Ultraschall. Mich hatte am Morgen des Arzttermins ein leises Gefühl von Unsicherheit überkommen, kaum wahrnehmbar. Als mich die Ärztin nach längerem Schallen aufforderte mich vom Stuhl auf die Liege zu legen und mit besorgtem Blick weiterschallte, wusste ich eigentlich schon was passiert war. Dennoch wehrte sich jede Faser meines Körpers dagegen. Das Herzchen meines Babys hatte aufgehört zu schlagen und unsere Welt blieb stehen. Die mir aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaftsdauer (18.SSW) bevorstehende Geburt unseres Sohnes war der schwerste Gang meines Lebens und ermöglichte mir dennoch, den Prozess des Loslassens – zumindest auf der körperlichen Ebene – sehr bewusst wahrzunehmen. Nach unserer ersten und letzten Begegnung mit unserem Sohn verließ ich das Krankenhaus als ein veränderter Mensch.
Wir haben es nach einer einmonatigen Pause aufgrund der erforderlichen Ausschabung der Plazenta direkt wieder probiert. Unser Kinderwunsch war mindestens genauso groß wie unsere Trauer. Zu verhüten wäre uns daher absurd vorgekommen. Und es klappte sehr schnell wieder. Am Tag der Beerdigung unseres Sohnes wusste ich bereits, dass ich wieder schwanger war. Doch auch dieses kleine Herzchen hörte im Januar 2020 in der 11. SSW auf zu schlagen, nachdem die Entwicklung des Embryos bis dahin immer zeitgerecht gewesen war. Dieses Mal setzte spontan eine Blutung ein, die aber so heftig ausfiel (die dafür ursächliche Gerinnungsstörung mit Blutungsneigung – das sog. Von-Willebrand-Syndrom wurde bei mir erst im späteren Verlauf diagnostiziert), dass ich am Ende doch erneut eine Ausschabung per Not-OP machen lassen musste. Langsam glaubten wir bei uns nicht mehr an die These vom zufälligen Schicksalsschlag und begaben uns in die Diagnostik-Maschinerie. Das Übliche (Endokrinologie, Gerinnung, Humangenetik, Anatomie, immunhistochemische Untersuchung des Endometriums, Diabetologie) wurde abgeklärt und blieb bis auf das Von-Willebrand-Syndrom (damit gehöre ich gleich zweimal zu einem sehr „exklusiven Kreis“, da die Prävalenz des Syndroms ähnlich wie habituelle Aborte bei nur ca. 1% der Bevölkerung liegt) und eine gestörte Nüchternglukose (beides ist nicht mit wiederholten FG assoziiert) ohne Befund.
Schon im übernächsten Zyklus stellte sich wieder eine Schwangerschaft, und damit verbunden große Angst, ein. Ich versuchte keine Vorfreude aufkeimen zu lassen – und tat Recht daran. Bei einer Kontrolluntersuchung im April 2020 in der 11. SSW konnte erneut keine Herzaktion eines bis dahin zeitgerecht entwickelten Embryos mehr festgestellt werden. Ich fühlte mich gefangen in diesem immer wiederkehrenden Alptraum. Und wieder stand mir eine Ausschabung bevor. Dieses Mal auf meinen eigenen Wunsch hin, da mir die Erfahrung vom Januar noch in den Knochen saß. In den Folgewochen hatte ich mit Dauerblutungen und -schmerzen zu kämpfen. Wie sich herausstellte waren nach der Ausschabung Plazentareste in meiner Gebärmutter verblieben, die sich zu einem Plazentapolyp entwickelt hatten. Knapp 6 Wochen später musste ich also für OP Nummer 4 an meiner Gebärmutter unters Messer. Danach fühlte ich mich nicht nur körperlich traumatisiert und geschunden, sondern vor allem seelisch zutiefst erschüttert. Die Zeit verstrich. Ich leierte weitere Schritte zur Ursachenforschung an (Immunologie bei Frau Dr. Reichel-Fentz und Mikrozirkulationsstörung bei Prof. von Tempelhoff), die weder eine eindeutige Ursache noch einen Ansatzpunkt für die weitere Behandlung brachten.
Im November 2020 testete ich erneut positiv. Die biochemische Schwangerschaft blutete 1,5 Wochen später ab. Die (vorerst) letzte Schwangerschaft stellte sich Anfang April 2021 ein. Es sollte wieder ein Dezember-Baby werden wie unsere Tochter. Das MUSSTE doch ein gutes Zeichen sein, wir waren vorsichtig optimistisch… Und unendlich müde und mutlos, als beim ersten Ultraschalltermin in der 7. SSW kein Herzschlag zu sehen war, sondern nur eine bereits deformierte Fruchthöhle mit zu kleinem Embryo. Ich fühlte mich wie ein Luftballon, aus denen mit einem lauten Knall sämtliche Luft entweicht. Aufgrund der Vielzahl der vorangegangenen OPs und da es ja noch ein sehr frühes Schwangerschaftsstadium war, wollte ich es gerne nochmal auf eigene Faust auf natürlichem Weg probieren abgehen zu lassen. Nach zweiwöchigem Warten wurde mein Arzt mit Blick auf die Möglichkeit einer Entzündung nervös, ließ sich aber darauf ein, es medikamentös unterstützt (Cytotec) zu probieren. Nachdem ich die Tabletten fast eine Woche (oral, vaginal) genommen und alles ausprobiert hatte (Senfmehlfußbäder etc.) setzte eine stärkere Blutung ein. Diese hörte aber leider erneut nicht wieder auf, so dass ich wieder im Krankenhaus landete. Dort stellte man fest, dass Fruchthöhle und Embryo bereits abgegangen waren, sich jedoch noch Schwangerschaftsreste in der Gebärmutter befanden. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen gegen eine erneute OP und konnte aushandeln, für den Rest der Nacht an einen Oxytocin-Tropf zu kommen. Leider führte dies nicht wie erhofft zu ausreichend starken Kontraktionen, so dass man mir am nächsten Morgen dringend zu einer erneuten Ausschabung riet. Ich gab mich geschlagen…
Zwei Jahre, fünf Schwangerschaften, drei schlagende Herzen, fünf Operationen, unzählige Arztbesuche und stille Kämpfe später, ist dies der vorläufige Endpunkt meiner Geschichte.
Mein Wunsch nach einem zweiten Kind – und vor allem Geschwisterkind für unsere Tochter – ist nach wie vor ungebrochen. Aber mir ist es auch wichtig, nicht selbst an diesem Wunsch zu zerbrechen. Zwar bin ich nach jedem Verlust innerlich weiter abgestumpft, aber die Spuren an Körper und Seele sind tief.
Ich freue mich endlich die Zeit dafür gefunden zu haben diese Zeilen zu schreiben und vor allem auf den Austausch mit Euch! Zusammen sind wir weniger allein!

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#2

RE: Gravida 6, Para 1

in Eure Geschichte 06.08.2021 12:32
von Susanne • 4.593 Beiträge | 4611 Punkte

Hallo Lisa, herzlich Willkommen! Meine Gedanke beim Lesen "Oh mann, wie schrecklich, was für eine strapaziöser, furchtbarer, langer Weg, der immer wieder gespickt wurde von schweren Verlusten und körperlichen Strapazen..." Es tut mir echt von Herzen leid, was Du alles erleiden musstest.. Mir fehlen die Worte. Besonders schlimm finde ich auch, dass nach all den Untersuchungen immer noch kein brauchbarer Ansatzpunkt dabei ist. Jedoch haben wir hier weitere Mitglieder, die einen ähnlichen Marathon hinter sich haben und sich nun auf neuen Pfaden befinden (3. Fehlgeburt und wie es weiter geht, Ovarielle Verjüngung und Verjüngung der Gebärmutter durch "plateled rich plasma" (PRP), Leonas Geschichte - Enttäuschung in Serie (12)) Vielleicht hast Du da mal die Zeit und Ruhe Dich da durchzuarbeiten.

Ich hoffe sehr, dass Dir der Austausch hilft, vielleicht neue Denkanstöße gibt, wie so vielen anderen. Fühl Dich gedrückt, Susanne


zuletzt bearbeitet 06.08.2021 12:39 | nach oben springen

#3

RE: Gravida 6, Para 1

in Eure Geschichte 06.08.2021 13:40
von sternchen_37 • 286 Beiträge | 287 Punkte

Oh Lisa. Was für ein Leidensweg hinter dir liegt! Ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wie sehr das körperlich und seelisch an dir zehren muss.
Susanne hat das schon sehr gut auf den Punkt gebracht - ich lese deine Geschichte und bin einfach unfassbar traurig für dich und mit dir, weil es mir von Herzen Leid tut, dass du so ein Leid erfahren musst.
Ob es nun gut oder schlecht ist - du bist trotzdem nicht allein mit deiner Geschichte. Vielleicht findest du hier im Forum Halt und Informationen, die dir vielleicht helfen. Susanne hat dir die relevanten Links schon gepostet. Für den Moment sende ich dir Kraft, Zuversicht, Verständnis und Mitgefühl. Ich hoffe, dass es dir gut geht.

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#4

RE: Gravida 6, Para 1

in Eure Geschichte 17.08.2021 21:45
von Lisa • 2 Beiträge | 2 Punkte

Vielen Dank für die herzliche Auf- und Anteilnahme! Ich bin innerlich so zerrissen. Einerseits will (und kann) ich den Kinderwunsch nicht aufgeben, andererseits wage ich keine weitere Schwangerschaft auf gut Glück. Meine persönliche Statistik steht dem leider eindeutig entgegen. Da bislang die Diagnostik weitestgehend unauffällig war weiß ich leider auch nicht, wo ich bei einer etwaigen weiteren Schwangerschaft unterstützend ansetzen sollte😔
Hat hier jemand Erfahrung mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG)? Das wurde mir von Prof. Tempelhoff empfohlen, ist laut DGGG Leitlinie für habituelle Aborte aber zu unspezifisch.

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