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Von meiner ersten Schwangerschaft, die leider in einer Fehlgeburt endete, und von meinen Erfahrungen mit den begleitenden Ärzten

in Eure Geschichte 07.04.2024 20:35
von Nina90 • 5 Beiträge | 5 Punkte

24. Februar
An einem Samstagmorgen halte ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Wir freuen uns so sehr! Es ist meine erste Schwangerschaft und natürlich ist mir bewusst, dass es Risiken gibt, aber ich bin ein optimistischer Mensch und es wird schon alles gut werden! Ich versuche einfach, alles was ich tun kann richtig zu machen. 15 Jahre lang hatte ich die Pille genommen. Vor mehreren Monaten habe ich sie abgesetzt, um den Körper erst an die Hormonumstellung zu gewöhnen. Ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken und angefangen, ein Folsäurepräparat für Kinderwunsch zu nehmen. Ab jetzt achte ich noch mehr auf meine Ernährung, esse noch mehr frisches Obst und Gemüse. Reduziere den Stress auf der Arbeit und den Kaffee auf eine Tasse pro Tag, achte auf mindestens 8 Stunden Schlaf und gehe jeden Tag spazieren an der frischen Luft.

05. März
Seit über 10 Jahren bin ich bei meiner Frauenärztin, bisher war immer alles in Ordnung und ich hatte nie Probleme. Sie bestätigt mir die Schwangerschaft, soweit sieht alles gut aus. Auf dem Ultraschallbild kann man bisher nur einen schwarzen Punkt erkennen. Zum ersten „richtigen“ Ultraschall soll ich in einem Monat zu ihr kommen. „Dann können wir schon mehr sehen“ sagt sie, „Ihr Kind wird dann etwa so aussehen wie ein kleines Gummibärchen.“

27. März
Es ist der Mittwoch vor Ostern. Seit Montag habe ich leichte Blutungen und Bauchschmerzen. Ich habe Angst, dass etwas mit dem Kind nicht in Ordnung ist. Und obwohl ich mich nicht verrückt machen will, muss ich das doch vor den bevorstehenden Feiertagen abklären. Da meine Frauenärztin im Urlaub ist, rufe ich bei ihrer Vertretung an. Ich soll sofort vorbeikommen. „Als Erstes sehen wir nach und dann schauen wir weiter“ sagt die Vertretungsärztin. Beim Blick auf den Ultraschallmonitor wird sie ernst. „Hier kann ich den Embryo sehen, aber ich sehe keinen Herzschlag.“ Sie sucht weiter, und mir ist schon klar, was das heißt, trotzdem begreife ich es noch nicht. „Das sieht leider nicht gut aus, tut mir leid.“ Ich soll mich zuerst wieder anziehen und dann erklärt sie mir mit viel Geduld und Empathie, dass es sich um eine Missed Abortion handelt. „Machen Sie sich keine Vorwürfe, Sie haben nichts falsch gemacht. Das passiert leider häufig. Wahrscheinlich ist irgendwas mit der Zellteilung schiefgelaufen. Vielleicht sind es auch zwei Embryos, die miteinander verklebt sind, so genau kann man das auf dem Ultraschall nicht sehen.“ Rechnerisch müsste ich auf dem Stand der 10. Schwangerschaftswoche sein, aber der Embryo ist auf dem Stand der 7. oder 8. Woche. Entweder hat das Herz unseres Kindes nie angefangen zu schlagen, oder es hat nur kurz und schwach geschlagen und vor ein paar Wochen unbemerkt damit aufgehört. Sie gibt mir das Ultraschallbild als Erinnerung mit, eine Krankschreibung für zwei Wochen und einen Infozettel, den ich später als den Flyer aus dem Downloadbereich hier aus dem Forum wiedererkenne. Sie empfiehlt mir, auf einen natürlichen Abgang zu warten und die Ausschabung nur als dritte und letzte Option in Betracht zu ziehen. „In vielen Fällen schafft das der Körper von alleine. Aber das sind jetzt ganz schön viele Informationen, das müssen Sie jetzt erstmal verdauen. Gehen Sie nächste Woche zu dem geplanten Ultraschalltermin zu ihrer Frauenärztin, dann sehen Sie weiter. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Ich bin geschockt, unglaublich traurig und leer. Weinend laufe ich nach Hause, es ist ein warmer Frühlingstag. Zuhause überbringe ich meinem Mann die Nachricht. „Oh nein!“ sagt er. „Es ist einfach höhere Gewalt“ sage ich. „Ich fühle mich einfach so leer“ meint er nach langem Schweigen. Es hat nicht sollen sein. Aus ist unser Traum, Weihnachten dieses Jahr als eigene kleine Familie zu verbringen. Vorbei ist es mir der Hoffnung, in unserem Urlaub im Juni vielleicht die ersten Tritte unseres Kindes zu spüren. Wie lange wir überlegt haben, wann und wie wir unseren Familien die gute Nachricht überbringen! Mitte April sollte es soweit sein. Bisher weiß außer uns und unseren beiden besten Freunden niemand von der Schwangerschaft. Es ist ein ganz komisches Gefühl, unseren Familien für das bevorstehende Osterfest abzusagen mit den Worten „Es ist nur eine Erkältung, wird schon wieder!“ Aber wir wollen es ihnen nicht zumuten, wollen ihnen keine Sorgen machen. Ich google viel, finde über den Infozettel dieses Forum mit den super zusammengestellten Informationen, versuche mich zurecht zu finden und gemeinsam mit meinem Mann Antworten auf die Fragen zu finden: Was ist ab jetzt der richtige Weg für mich? Was will ich (auf keinen Fall)? Was kann ich mir vorstellen und was nicht? Kann ich mir eine Ausschabung vorstellen? Will ich das Kind sehen? Will ich es beerdigen lassen? Will ich Gewebe untersuchen lassen und ist das überhaupt möglich? Mir war bewusst, dass Fehlgeburten häufig vorkommen, aber mir war nicht bewusst, wie viele Entscheidungen dabei zu treffen sind.

02. April
Die letzte Woche haben wir abgewartet, getrauert, angefangen zu begreifen und angefangen, uns von unserem Kind, und dem Gedanken an ein Leben zu dritt, zu verabschieden. Unser erstes Kind wird immer ein Teil von unserem Leben bleiben. Nur leider werden wir es nicht aufwachsen sehen. Das Warten hat uns beide mürbe gemacht, meine Blutungen und Bauchkrämpfe werden zwar stärker, aber noch ist nichts weiter passiert. Im Moment kann ich es mit Ibuprofen ganz gut aushalten, aber ich habe Angst, dass es noch viel schlimmer wird. Ich habe gelesen, dass manche Frauen mehrere Monate auf die natürliche kleine Geburt gewartet haben. Das halten wir beide nicht aus. Mein Mann schlägt vor, dass ich zu meiner Frauenärztin gehe. Ich möchte sie nach einem misoprostolhaltigen Medikament fragen, um den weiteren Verlauf zu beschleunigen. Meine Frauenärztin macht als Erstes nochmal einen Ultraschall. Sie bestätigt, dass sie den Embryo und die Fruchthöhle sehen kann, aber keinen Herzschlag. Sie ist sich sicher, dass es keine zwei Embryonen sind, sondern nur einer. Noch als ich auf dem Untersuchungsstuhl liege, fängt sie an auf mich einzureden: das Kind wird AUF KEINEN FALL von selbst rauskommen, ich muss ins Krankenhaus und eine Ausschabung machen lassen. Sie gibt mir eine Einweisung ins Krankenhaus und die Nummer der gynäkologischen Ambulanz. Dort soll ich gleich morgen einen Termin machen, damit ich noch diese Woche drankomme. Dann ist es erledigt und dann soll ich nach vorne schauen. Ich frage gezielt nach MisoOne. Sie sagt, das hätte sie noch nie jemandem verschrieben und das Risiko sei zu hoch, dass ich unkontrollierbare Blutungen bekomme. Statt mit einem Rezept verlasse ich die Praxis also mit der Einweisung ins Krankenhaus. Ich fühle mich gedrängt, statt der von der Vertretungsärztin eröffneten Wahl zwischen drei Möglichkeiten sieht meine Ärztin die OP als einzige Option. Enttäuscht gehe ich nach Hause. Abends bespreche ich mit meinem Mann die Optionen und beschließe, dass ich morgen früh die gynäkologische Ambulanz aufsuchen werde. Ich habe keine Kraft, mich mit Ärzten zu streiten und hoffe, dass ich schon noch ein Beratungsgespräch bekommen werde, bevor sie mich gleich in das OP-Hemd stecken. Ich bin nicht glücklich mit der Aussicht auf eine OP, aber ich will nicht mehr auf unbestimmte Zeit warten. Ich bin bereit, mein Kind gehen zu lassen, aber es scheint noch nicht bereit zu sein.
Gegen 21:15 Uhr gehe ich auf die Toilette. Und plötzlich, ganz ohne Schmerzen, merke ich, wie etwas aus mir herausflutscht. Mit bloßen Händen fische ich den blutigen Kokon aus der Kloschüssel. Ganz fest ist er, ein Baby erkennt man nicht darin. Da ich mir vorher Fotos im Internet angesehen hatte, glaube ich, dass das die Fruchthöhle ist. Auf einmal bin ich aufgeregt, ich wollte mein Kind so unbedingt sehen, wollte sehen, ob es ein oder zwei Embryos sind. Mein Mann ist sich noch nicht sicher, ob er das auch will. Ich lasse etwas Wasser ins Waschbecken und versuche, den Kokon zu öffnen. Das ist das gar nicht so einfach, ich weiß ja nicht, wonach ich suche und mehrere Schichten umschließen das Kind ganz fest. Ich habe Angst, es zu verletzen und bin ganz vorsichtig. Ich bin dankbar für dieses Forum, das mich mit Beschreibungen und Fotos auf diese doch surreale Situation vorbereitet hat. Irgendwann sehe ich den Kopf und dann halte ich es tatsächlich in den Händen. Es ist so groß wie meine Fingerkuppe, federleicht und ganz eindeutig ein kleiner Mensch. Mit Kopf, Augen, Mund, Körper, Armen und Beinen. Sogar die Organe sieht man durch die dünne Haut durchschimmern. Es sieht ein bisschen aus, als ob es lächelt. Mein Mann bringt ein Glas Wasser und wir lassen es darin schwimmen. Danke, Susanne, für die Erklärung der Wassermethode! Darauf wäre ich allein nicht gekommen, aber es sehr schön, unser Kind ganz in Ruhe von allen Seiten anzusehen und ein paar Fotos zur Erinnerung machen zu können (die Fotos habe ich hier im Forum eingestellt). Wir sind fasziniert von diesem Wunder. Realisieren, begreifen, betrachten, weinen, trauern. Wir stellen uns vor, was aus diesem kleinen Wesen hätte werden können, wenn es das Schicksal anders gewollt hätte. Obwohl es alle Anlagen zum Menschen hat, hat irgendetwas nicht gestimmt und so war unsere gemeinsame Zeit leider viel zu kurz. Ich bin meinem Kind dankbar, dass es von allein loslassen konnte und mir so die Ausschabung erspart hat. Als wir soweit sind, geben wir es gemeinsam im Badezimmer zur „Seebestattung“. Alle (Ab-)Flüsse fließen schließlich irgendwann ins Meer. Und das Meer hätte es sicher sehr gemocht. Wir sind erschöpft, aber auch sehr dankbar, dass wir diese gemeinsame Zeit so erleben durften und uns verabschieden konnten. Gute Reise, kleiner Körper!

03. April
Ich habe immer noch die Einweisung ins Krankenhaus und es bleibt die Frage: war das alles oder ist noch Restgewebe in der Gebärmutter, so dass ich doch noch operiert werden muss? Also rufe ich in der gynäkologischen Ambulanz an und soll auch gleich vorbeikommen. Ab sofort soll ich nichts mehr essen und trinken und eine kleine Tasche mit Übernachtungssachen mitbringen, falls ich heute noch operiert werden muss. Damit habe ich so nicht gerechnet und in der Hoffnung, dass das nicht nötig sein wird, packe ich keine Tasche. Im Krankenhaus melde ich mich an, unterschreibe Formulare (Kassenpatient, kein Einzelzimmer, keine Chefarztbehandlung, Befunde dürfen an meine Frauenärztin weitergegeben werden), hinterlege die Kontaktdaten meines Mannes. Ich bekomme eine Fallnummer. Mir wird Blut abgenommen und ein Zugang gelegt – „Nur für den Fall, dass Sie heute noch operiert werden, dann haben wir das schon mal.“ Als ich endlich mit einem Arzt sprechen kann, muss ich mehrmals erklären, dass ich die Einweisung erhalten habe BEVOR ich gestern den natürlichen Abgang hatte und dass eine Operation hoffentlich nicht mehr nötig ist. „Dann schauen wir jetzt erstmal nach“ sagt er und macht einen Ultraschall. Er findet eine leere Gebärmutter und zwei normalaussehende Eierstöcke. „Abortus Completus“ lautet der Befund. „Ihr Körper hat es wohl allein geschafft, eine Ausschabung ist nicht mehr nötig.“ Ich bin stolz auf meinen Körper, dass er wusste, was zu tun ist. Erleichtert gehe ich nach Hause und merke, wie die Anspannung der letzten Tage langsam von mir abfällt und wie erschöpft ich auch bin. Nicht nur mental, auch körperlich war das eine anstrengende Zeit. Der Gedanke, dass die Stammzellen unserer Kinder, mit denen wir schwanger waren, für immer in unseren Körpern verbleiben, gefällt mir. Auch bleiben viele gute Erinnerungen voller Freude und Vorfreude an unsere kurze gemeinsame Zeit. Dies war und wird immer unser erstes Kind bleiben. Wir haben ihm ein Geschlecht und einen Namen gegeben. Hoffentlich bekommt es bald ein Geschwisterchen. Wenn es ein Mädchen wird, bekommt sie als zweiten Vornamen den ihrer großen Schwester.

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#2

RE: Von meiner ersten Schwangerschaft, die leider in einer Fehlgeburt endete, und von meinen Erfahrungen mit den begleitenden Ärzten

in Eure Geschichte 07.04.2024 21:22
von Susanne • 4.599 Beiträge | 4617 Punkte

Liebe Nina, auch nochmal hier herzlichen Dank für die faszinierenden Bilder und diesen ausführlichen Beitrag, der sicher ganz vielen Frauen helfen wird. So wie die erste Ärztin agierte , wünschte ich es mir von allen. Das war das absolut richtige Vorgehen. Ich wünsche Euch, dass Ihr nun etwas zur Ruhe und zu Kräften kommen dürft. Fühl Dich gedrückt, Susanne

zuletzt bearbeitet 07.04.2024 21:23 | nach oben springen

#3

RE: Von meiner ersten Schwangerschaft, die leider in einer Fehlgeburt endete, und von meinen Erfahrungen mit den begleitenden Ärzten

in Eure Geschichte 08.04.2024 10:46
von Nelke • 2.178 Beiträge | 2188 Punkte

Hallo Nina,
euer Verlust tut mir sehr leid.
Schade, dass nicht alle Ärzte einem eine ehrliche Wahl lassen.
Die Fotos habe ich gesehen und sie sind wirklich sehr schön. Im Wasser schaut es viel detaillierter aus.
Ich wünsche euch viel Kraft für die kommende Zeit und ein baldiges regenbogenwunder.
Liebe Grüße, Lena

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#4

RE: Von meiner ersten Schwangerschaft, die leider in einer Fehlgeburt endete, und von meinen Erfahrungen mit den begleitenden Ärzten

in Eure Geschichte 08.04.2024 12:36
von Nina90 • 5 Beiträge | 5 Punkte

Liebe Susanne, liebe Lena,
vielen Dank für eure aufbauenden Worte!
Ich stimme Susanne zu, die Vertretungsärztin hat mich großartig beraten und so würde ich es allen Frauen in so einer Situation wünschen. Ich bin immer noch enttäuscht von meiner langjährigen Ärztin, nicht wegen der fehlenden Empathie, sondern weil sie mich schlicht unvollständig beraten hat. Ich hatte erwartet, dass es für eine so häufig vorkommende Diagnose (Missed Abortion in der Frühschwangerschaft) klare Handlungsempfehlungen für Ärzte gibt, an die sie sich auch halten. Wie man sich wahrscheinlich schon gedacht hat, werde ich ab sofort auch die Frauenärztin wechseln. Die Erfahrung möchte ich hier teilen, damit Frauen, die vielleicht eine ähnliche Erfahrung machen wie ich mit meiner Ärztin wissen, dass es auch anders geht.

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