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Unser Sternenkind / Missed Abortion in SSW 9

in Eure Geschichte 16.02.2024 22:23
von AnnaBe • 1 Beitrag | 1 Punkte

Hey ihr lieben Menschen,

ich heiße Anna (34 J.) und mein Mann (35 J.) und ich sind seit einigen Wochen ebenfalls Eltern eines Sternenkindes. Auch wir mussten den Weg einer Missed Abortion gehen.
Ich möchte unsere Erfahrungen hier auch teilen, da uns dieses Forum und eure Geschichten, vor allem in den ersten 2 Wochen, sehr viel Halt gegeben haben.

Wir wussten seit ca. 2 Jahren, dass wir ein Kind möchten. Zumindest zu 90% - diesen „jetzt sind wir bereit“-Moment hatten wir nicht, sahen uns aber in der Zukunft immer als kleine Familie.
Ich habe 7 Jahre die Spirale genutzt und habe mich dann im September 2023 dazu entschieden, diese ziehen zu lassen. Auch wenn bekannt ist, dass man quasi nach Ziehen direkt schwanger werden kann, war ich mir sicher, dass es eh dauern wird. Wir haben also nicht mehr verhütet, haben aber auch nicht aktiv auf eine Schwangerschaft hingearbeitet (wie manche z.B. mit Temperaturmessung o. Ä.) - eben frei nach dem Motto „wenn es passiert, dann passiert es, dann soll es so sein“.
Ich habe fast 6 Wochen auf meine 1. Menstruation nach dem Ziehen der Spirale gewartet. In dieser Zeit kam auch noch eine private, sehr schmerzliche Sache hinzu, welche alles eventuell etwas verzögert hat und ich habe gar nicht mehr an das Thema Schwangerschaft gedacht.

Am 06.12.2023 hielt ich das allererste Mal in meinem Leben einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Es war eine Mischung aus unendlicher Freude, Unwirklichkeit und etwas Panik, da mein Mann in der Zeit auf Dienstreise war. Ich wollte ihm keine Nachricht schreiben sondern das persönlich machen - ihm direkt ins Gesicht schauen, wenn er erfährt, dass er Papa wird. Das dauerte zu dem Zeitpunkt aber noch über eine Woche und so konnte ich ihm die freudige Nachricht erst am 18.12. zu Hause mitteilen. Er war sehr glücklich und wir haben uns beide riesig gefreut.
Ich hatte typische Schwangerschaftssymptome. Übelkeit, konnte kein Fleisch anbraten, war sehr müde und meine Brüste waren sehr angespannt und empfindlich.

Wie es der Zufall so wollte, hatte ich am 19.12. eh einen regulären Gynäkologentermin und so fragte ich natürlich, ob wir an diesem Termin auch die Schwangerschaft feststellen können.
Dann ging alles ganz schnell. Mein Mann war mit dabei, der Mutterpass wurde ausgestellt - und da war es, unser Baby, noch ganz klein auf dem Monitor aber eindeutig mit einem Herzschlag (SSW 6+5)
Die weiteren Termine wurden festgelegt und wir wurden in die Weihnachtszeit entlassen. Wir wollten diese Freude zumindest mit unseren Familien teilen und haben es auch nur diesem kleinen Kreis mitgeteilt. Niemals hätten wir zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet, dass doch alles ganz anders kommt.

In der 1. Januarwoche wachte ich eines Morgens auf und fühlte mich.. anders. Nicht schlecht, ganz im Gegenteil. Es war wie verhext aber ich hatte Hunger. Richtig doll und auch Appetit auf Sachen, bei denen mir 2 Wochen vorher noch schlecht geworden wäre. Ich war richtig froh, weil ich dachte, dass ich die 1. „Hürde“ in der Schwangerschaft gut geschafft habe. Ich war wieder fitter, brauchte nicht mehr gefühlt 16 Stunden Schlaf am Tag und fühlte mich gut. Aber eben irgendwie anders als zuvor.

Am 17.01. (11. SSW) hatten wir den nächsten Termin - das war der Tag für den 1. regulären Ultraschall. Ich mag meine Gynäkologin sehr gerne, bin schon seit Jahren Patientin bei ihr und auch mein Mann hat sich sehr wohl in der Praxis und in ihrer Obhut gefühlt. Bei der Untersuchung selbst haben wir uns noch über alltägliche Themen unterhalten, über Kaffeemaschinen etc. und auf einmal wurde sie ruhiger. Sie sagte, dass ich „altes Blut“ in der Scheide habe und ob ich das denn gemerkt hätte. Ich verneinte, da ich bis dahin keinerlei Beschwerden hatte. Weder Blutungen noch Krämpfe oder andere Schmerzen.
Sie wurde noch ruhiger als sie mit dem Ultraschall anfing und die Stimmung im Untersuchungsraum wurde von einer auf die andere Sekunde eiskalt. Man konnte es wirklich fühlen. Als sie schallte sah ich es selbst schon auf dem Monitor… Ich wusste es bereits beim Hinsehen aber es dauerte gefühlt noch einmal 30 Sekunden, bis sie uns mitteilte, dass das Herzchen leider nicht mehr schlägt und die Schwangerschaft nicht mehr intakt ist. Sie sagte, dass es wohl schon vor 2-3 Wochen aufgehört hat, sich zu entwickeln. Demnach war die Missed Abortion wohl in der 9. SSW.
Mir schossen sofort die Tränen in die Augen. Ich war so froh, dass mein Mann mit dabei war und auch er konnte nicht begreifen, was da gerade gesagt wurde.
Meine Gyn ist eine sehr emphatische und wunderbare Ärztin. Sie bat mich, mich erst einmal anzuziehen und nahm sich dann nochmals Zeit um uns durch diese ersten, schwierigen Momente zu begleiten. Sie schrieb mich direkt 2,5 Wochen krank und sagte, dass wir uns in 1 Woche noch einmal sehen. Ich habe nach den ersten Sätzen nicht mehr richtig verstanden, was gesagt wurde weil ich nicht wusste, wohin mit meinen Gedanken und den Tränen, die meine komplette Sicht vernebelten. Ihr war es aber wichtig, dass wir verstehen, was sie sagt, wusste aber auch, dass das jetzt in diesem Moment nicht ging. Deswegen erst einmal die Krankschreibung, damit man sich in dieser Situation zumindest nicht um die Arbeit o. Ä. Gedanken machen muss. Eine Woche später saßen wir wieder bei ihr - diesmal gefasster, vorbereitet mit Fragen. Bei diesem Termin hatte ich auch die Kraft über das weitere Prozedere zu sprechen und die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen. Meine Gyn drängte mich zu Nichts. Ich bekam auch nicht direkt den Überweisungsschein zur Ausschabung - weder am 1. Termin noch beim 2. Termin. Sie hat uns sehr gut aufgeklärt aber keinerlei Empfehlungen abgegeben. Sie hat nur gesagt, dass, sobald Fieber oder sehr starke Blutungen auftreten sollten, ich sofort ins Krankenhaus muss. Aber ich durfte vollkommen frei und selbstbestimmt entscheiden, wie ich mit dieser Situation umgehen möchte. Und dafür bin ich ihr von Herzen dankbar. Ich wünsche jeder Frau, nein, jedem Paar, was so etwas durchmachen muss, so eine wunderbare Ärztin. Denn auch mein Mann hatte zu kämpfen. Auch er hat mir mir zusammen geweint und den Verlust betrauert. Und auch er fühlte sich bei diesem Thema absolut gut informiert und mitgenommen. Das ist wichtig - auch unsere Partner, die körperlich nicht direkt davon betroffen sind, leiden. Umso wichtiger ist es, dass man das zusammen durchsteht und viel kommuniziert.
Nachdem ich darum gebeten hatte, den natürlich Abgang abzuwarten, habe ich 2 Arthotec Tabletten mitbekommen. Davon sollte ich jeweils 1 am Tag oral einnehmen um den Abgang zu unterstützen. Nach Einnahme der 1. Tablette dauerte es ca. 3 Stunden und ich hatte Blutungen. Am nächsten Tag nahm ich die 2. Tablette und es passierte… Nichts. Ich hulerte nebenbei noch, da Sport den Abgang ebenfalls beschleunigen kann aber auch dadurch passierte Nichts. Ich hatte Blutungen, ja, aber nie so stark, wie hier in anderen Beiträgen oder in anderen Foren manchmal beschrieben wird. Ich hatte auch nur 1x wehenartige Krämpfe, die aber aushaltbar waren und nach 2 Stunden weg waren. Nach dem Abgang von viel Gewebe und dem Gefühl, „dass jetzt alles raus ist“ nach der 1. Tablette, gingen wir wieder eine Woche später zur 2. Kontrolle. Leider hatte sich absolut Nichts getan. Die Fruchthöhle war noch intakt und das Gewebe, was abgegangen war, war wohl nur vom Rest der Gebärmutterschleimhaut. Ich war wirklich langsam am Ende. Der Kopf hat das Erlebnis schon besser verarbeitet als das Herz und daher war ich mittlerweile an den Punkt, dass ich den Prozess abschließen wollte. Nicht, weil ich nicht mehr traurig war, das bin ich auch jetzt noch. Aber die Frage, ob der Abgang passiert und vor allem wann, schwingt immer mit. Ich habe keine kleineren Besorgungen oder Spaziergänge mehr gemacht, weil ich Angst hatte, dass es mich kalt erwischt wenn ich nicht zu Hause bin. Daher habe ich mir eine Überweisung für die Ausschabung mitgeben lassen damit ich, falls ich mich dazu entscheide, bei einer Klinik anrufen kann. Und das tat ich. Nach viel Recherche, wie der Ablauf ist, nach vielen Gedanken, die sich um die Vollnarkose drehten, machte ich für mich die Entscheidung, dass es jetzt Zeit ist. Es dauerte dann nochmals 2 Wochen, bis ich heute die OP hatte. Auch noch einmal Zeit, in der die Hoffnung da war, dass es vielleicht doch von selbst geht. Ich hatte wahnsinnige Angst vor der OP, vor allem vor der Vollnarkose. Das war der Hauptgrund wieso ich mich so lange um eine OP gedrückt habe. Aber es war nicht schlimm. Es dauerte keine 15 Minuten und ich durfte 2 Stunden später schon wieder heim. Die Ärzte und MFAs waren sehr lieb.
Es blutet nur noch ganz leicht und ich muss auch keine Schmerztabletten nehmen. In 1 Woche habe ich wieder einen Kontrolltermin bei meiner Gyn und hoffe dann, dass wir diese gleichzeitig so schöne, traurige und auch beängstigende Zeit in eine Kiste packen und in eine Ecke im Kopf schieben können. Was bleibt ist dann der Gedanke an unserer kleinen Stern, daran, dass alles gut wird und man vor allem wieder voller Zuversicht weiterleben kann .

Erst während der Verarbeitungsphase der Missed Abortion haben wir uns mit dem Thema wirklich auseinandergesetzt. Wir haben vorher nicht einen Gedanken daran verloren, dass uns dieses Schicksal ebenfalls wie so viele andere auch, treffen könnte - auch, weil eben keiner so richtig darüber redet. Ja, es ist auch nicht unbedingt ein Thema, welches man beim Spieleabend mit Freunden auf den Tisch packt aber wir waren erschrocken darüber, wie viele Eltern dieses Schicksal verarbeiten müssen. An dieser Stelle ein großes Danke an dieses Forum. Was mir in den ersten Tagen ein Trost war, dass ich nicht alleine bin, hat mir in den späteren Tagen wirklich auch beim Verständnis geholfen, was da eigentlich passiert ist. Dass die Natur bzw. mein Körper einfach den Notausschalter gedrückt hat weil genetisch wohl etwas nicht richtig war. Und das „nicht richtig“ war so schlimm, dass unser Baby nicht hätte leben können. Ich habe gelernt, dass ich Nichts hätte tun können, um das zu verhindern. Denn in diesen ersten Wochen hat es nichts damit zu tun, ob man sich gesund ernährt oder nicht raucht oder keinen Alkohol trink. Ja, diese Faktoren können die Gesundheit des Babys im späteren Schwangerschaftsverlauf schädigen aber sie sind nicht Schuld daran, ob eine SS in den ersten Wochen hält oder nicht. Dafür sind Prozesse zuständig, die so komplex sind, dass leider auch Dinge schief gehen können. Und wer weiß, ob uns das Schicksal nicht vielleicht auf vor etwas noch Schlimmerem bewahrt hat. Diese Erkenntnisse haben uns sehr bei der Verarbeitung geholfen. Auch mein Mann hat viel im Forum gelesen, hat mir Beiträge gezeigt, mir Links geschickt, mich getröstet, mit mir geweint und er war mein Fels in der Brandung, den ich jedem wünsche. Dafür werde ich ihm für immer dankbar sein.
Wir fragten uns in der ersten Zeit sehr oft, wie es sein kann, dass man etwas so sehr betrauert, obwohl man es noch nicht kennt. Ich glaube man verliebt sich auch in den Gedanken an die Zukunft. Mit einem Mal wird einem eine parallele Zukunft eröffnet, etwas, was alles verändert. Man ist mit einem Mal in einer rosa Blase. Man liebt die Gedanken, die man hat. An gemeinsame Spaziergänge mit Kinderwagen, an die ersten Treffen mit der Familie, den ersten Urlaub nicht mehr nur zu zweit. Man schaut schon nach Umstandsmode, obwohl der Bauch noch gar nicht da ist. Man schlendert durch Babygeschäfte, liest Testurteile zu Babyausstattungen und hinterfragt auch sein eigenes Leben irgendwie. Haben wir genug vorgesorgt, sollten wir Patienverfügungen hinterlegen, haben wir Testamente usw. Es eröffnet auch eine komplett neue Ansicht des Lebens zusammen. Man sieht sich nicht mehr nur als Partner sondern dann auch als Eltern. Wie wird sich die Beziehung entwickeln, werden wir an diesem neuen Leben noch wachsen, was für Eltern wollen wir sein, was wird uns wichtig sein. Ja selbst solche Fragen wie: „wer von uns beiden wird dem Kind in der Schule bei Mathe helfen und wer bei Deutsch“ sind legitime Gedanken, die man einfach bekommt, sobald man weiß, dass man ein Kind bekommt. Das macht eben diese rosa Blase, in der man sich befindet. Das ist ein wunderschönes Gefühl.
Und dann mit einem Mal wird einem diese Zukunft, diese wunderbaren Gedanken, weggenommen. So plötzlich wie sie da waren, sind sie nicht mehr da. Und das bricht einem einfach das Herz.

Man hofft natürlich, dass man durch diese Zeit nicht noch einmal gehen muss. Aber rückblickend kann ich sagen, dass, falls wir es doch noch einmal müssten, ich Nichts anders machen würde. Auch wenn der natürliche Abgang nicht geklappt hat, so hat er doch bei der Verarbeitung geholfen und ich habe meinen Körper auch noch einmal mehr kennengelernt. Ich weiß jetzt, dass eine SS bei uns auf natürlichem Weg möglich ist, ich weiß jetzt, dass meine Gebärmutter so stark ist, dass sie eine SS halten kann und vor allem wissen wir beide jetzt, dass wir definitiv eine Familie gründen möchten. Nicht mehr nur zu 90%, sondern zu 110%.

zuletzt bearbeitet 16.02.2024 22:25 | nach oben springen

#2

RE: Unser Sternenkind / Missed Abortion in SSW 9

in Eure Geschichte 17.02.2024 07:18
von Susanne • 4.598 Beiträge | 4616 Punkte

Hallo liebe Anna, herzlich Willkommen und mein Mitgefühl für Deinen Verlust. Vielen Dank für Deine ausführliche Geschichte, die sicher auch vielen Frauen helfen wird, und in der sich viele wiederfinden werden!
Total schön zu lesen wie Deine Ärztin Dich in der Situation begleitet hat. Erzähle ihr gerne von dem Forum, damit sie es den Tipp an andere Betroffene weitergeben kann.
Auch toll wie Dein Mann an Deiner Seite stand, und dass Ihr gut durch die Situation gekommen seid.
Fühl dich gedrückt, Susanne

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#3

RE: Unser Sternenkind / Missed Abortion in SSW 9

in Eure Geschichte 17.02.2024 08:11
von Vroni • 15 Beiträge | 15 Punkte

Liebe Anna,


dein Verlust tut mir wirklich sehr leid. Ich konnte jedes Wort so gut nachempfinden. Es ist ein Abschied von einer Zukunft, die so nun nicht stattfinden wird. Ich bin so sehr beeindruckt, wie viel Stärke und Weisheit ihr aus dieser Zeit und Erfahrung ziehen konntet und vermutlich noch zieht.

Aus eigener Erfahrung haben mich meine/unsere eigenen Verluste vor allem gelernt, wie sehr ich meinen Partner schätze und dass wir alles gemeinsam überleben - auch den Tod. Und wenn mich die Trauer mal wieder einholt, hilft mir enorm, zu wissen, dass ich einen Partner habe, mit dem ich mir einen so großen und lebensverändernden Schritt vorstellen kann - das ist eine wunderschöne Erkenntnis für mich.

Ich wünsche euch beiden Heilung, Kraft und Mut für die Zukunft.


Alles Liebe <3

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