#1

Sternenkind der 10. SSW kurz vor Weihnachten

in Eure Geschichte 27.01.2024 15:46
von Madeline_191223 • 8 Beiträge | 8 Punkte

Hallo liebe Mitleidende,

ich habe mich in diesem Forum angemeldet nachdem ich schon einige Wochen stille Mitleserin war. Ich glaube der allerschlimmste Monat meines Lebens ist jetzt vorbei.

Anfang November hielt ich zum ersten Mal in meinem Leben einen positiven SS-Test in meinen Händen und war überrascht, schockiert und sofort in unglaublicher Vorfreude. Das Kind war gewünscht und ein wahres Glück, weil es sofort im ersten Monat ohne Verhütung geklappt hat. Wir waren auch optimistisch, denn ich bin ja noch keine 30, war sportlich, schlank (normalgewichtig) und habe keine Vorerkrankungen. Warum sollte denn bei mir etwas schief gehen?

Wir waren zusammen vier Mal beim FA. Bis zum dritten und schlimmsten Termin am 15.12. war auch immer alles gut. Beim dritten Termin meinte die FA plötzlich, dass unser Kind ja beim letzten Mal zu klein gewesen sei. Dem widersprach ich noch, denn ihre Rechnung stimmte nicht, da mein Zyklus vermutlich eher 36 Tage lang geworden wäre (das weiß ich weil ich die Temperatur getrackt hatte) und ihre Rechnung sich auf meinem Durchschnitt, nämlich 31 Tagen beruhte... Na ja, wenn es nur das gewesen wäre.

Dann kam der Ultraschall. Wir sahen kein pochendes Herzchen. Ich war verwirrt, blickte auf meine FA, die still wurde und genau hinblickte. Sie runzelte die Stirn. Ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich war in so einem Schock als sie es aussprach. "Ich sehe leider keine Herzaktion". Dann hat sie noch Kopf und Körper gezeigt und gemeint, dass sich da jetzt Wassereinlagerungen (ein Hydrops) gebildet hätte. Mein Freund stand auf, legte seine Hand auf meine Schulter, war wie ich geschockt und fragte direkt was das bedeutete. Immerhin hatte die FA den Anstand dann zu sagen, dass wir das gleich machen würden (denn erst einmal musste sie diesen Stab aus meiner Vagina entfernen und ich musste mich für so ein Gespräch anziehen). Ich glaube es waren die schlimmsten Minuten in meinem Leben als ich dann nur mit dem Ausschabungsbogen heim ging (sie gab mir "etwas zum Lesen", wie es die FA nannte). Beim ersten Termin 4 Wochen zuvor bekam ich noch einen Stapel mit Babyflyern "Herzlichen Glückwunsch" und "Worauf Sie jetzt achten müssen" bzw. "Welche Untersuchungen jetzt relevant sind"... Ich fragte mich, wie ein Mensch so etwas überhaupt überleben und ertragen kann, also dass ein Mensch in einem selbst stirbt. Es war so schlimm, dass keinerlei Hilfe für die Psyche angeboten wurde. Dabei gibt es ja Trauervereine und -gruppen, auch für Sterneneltern. An dem folgenden Wochenende war mir immer noch schlecht. Das war das Absurde. Mir war immer noch übel und ich hatte Würgeattacken, also klare Schwangerschaftszeichen, auch wenn sie ein bisschen weniger wurden.


Am Montag danach waren wir dann nochmal zum (retrospektiv) Krisengespräch und Informationsgespräch in der Praxis, dann musste ich noch zum Anästhesiegespräch in die Klinik. Dienstag danach, am 19.12., führte dann der Chef meiner Frauenärztin die Abort-Kürettage durch. Man könnte auch sagen es war die kleine Geburt unseres Kindes. Mir war die ganze Zeit so kalt und ich zitterte, mir flossen die Tränen. Ich begriff nicht was da passierte. Es ging nur ein paar Minuten. Ich fragte dann "Ist es schon vorbei?", offenbar war es so. Die Krankenschwester auf der Station musste sich um 10 Patienten gleichzeitig kümmern und dann lag ich noch 2 Stunden im Aufwachraum mit Verkablung, weil sie vorher keine Zeit hatte. Der OP-Arzt erzählte mir zwischendurch mit überzeugtem Ton, dass er da viel Gewebe rausgeholt hätte und dass das ja nötig gewesen wäre. Na ja, dass es nötig war muss man wohl als OP-Arzt sagen. Dass es sich dabei um bloßes "Gewebe" gehandelt habe war und ist für mich an Unmenschlichkeit nicht zu übertreffen.

Das Leiden und wirkliche Trauern begann dann erst zuhause als ich aus diesem Überlebens- und Organisiermodus raus war. Ich fühlte mich einfach leer. Noch heute fühle ich mich oft so. Es kommt mir vor, als haben sie meinen Bauch einfach unter Vollnarkose abgeschnitten. Er ist komplett leer jetzt. Weihnachten fiel für mich persönlich aus. Geplant war es, dass wir meinen Bruder und seine Familie (mein Neffe ist noch nicht mal 1) in München besuchten. Meine Welt war aber zusammengebrochen, ich hatte keine Kraft.
Mein Partner kümmerte sich um Weihnachten rührend um mich, auch wenn es schwer für ihn war. Früher hatte ich immer gekocht, aber ich konnte das nicht mehr. Ich erkannte mich nicht mehr und tue das immer noch nicht so ganz. Ich fühlte mich in den ersten Wochen nach der Kürettage wie ein Monster, dass sich irgendwas Essbares aus der Küche holte, falls es das gab. Gestern habe ich nach fast 6 Wochen zum allerersten Mal etwas gekocht.

Noch immer ist es so, dass ich viele Flashbacks und Triggergefühle habe. Ich frage mich, ob es euch auch so geht/ging?

Noch häufig rasen diese Gedanken nur so durch meinen Kopf, die dunkelsten Minuten und Stunden, die Minuten vor der OP, das Piepsen der Geräte, das Frieren, als meine FA die Stirn lange runzelte und uns dann sagte, dass unser Kind gestorben sei. Ich denke oft zurück, dass es mir 4 Wochen lang dauerübel war, ich mich auch erbrach, und ich von den Ärzten und im Internet aber hörte, dass dann alles gut sei. Aber dann ist unser Kind doch gestorben.

Noch immer ist es so, dass mich bestimmte Dinge extrem triggern, allen voran ist da Babygeschrei (ich möchte dann immer mitschreien), Kinderwägen mit kleinen Babys, Schwangere oder Berichte von bald werdenden Eltern aus dem Freundes-/Bekanntenkreis.

Ich weiß aktuell immer noch nicht, wie das je wieder normal werden kann, wie mein Kopf wieder normal funktionieren kann. Aber ich hoffe, dass vielleicht eine Therapie helfen kann. In zwei Wochen habe ich einen ersten Termin bei einer Psychotherapeutin.

Ich wünsche euch in der Zukunft alles Liebe und, ganz besonders, keine weiteren Schicksalschläge.

Liebe Grüße
Madeline


zuletzt bearbeitet 27.01.2024 15:51 | nach oben springen

#2

RE: Sternenkind der 10. SSW kurz vor Weihnachten

in Eure Geschichte 27.01.2024 16:03
von Susanne • 4.599 Beiträge | 4617 Punkte

Liebe Madeline, herzlich Willkommen und mein Mitgefühl für Deinen Verlust. Es liest sich ganz so als wäre der Ablauf für Dich recht traumatisierend gewesen. Hast Du Erinnerungen in der Schwangerschaft schaffen können, die Du nun hast? Es ist für die Trauerarbeit recht wichtig, dass man begreift und akzeptiert, was einem passiert ist. Dabei kann ein ritueller Abschied helfen, z.B. die Gemeinschaftsbeisetzung oder ein symbolische Beerdigung/ein Abschied, den man selber gestaltet. Das kann ganz unterschiedlich aussehen. Hilfreich ist es auch sich seine Gefühle einmal genau anzuschauen. Oft ist es weit mehr als "nur" "ich bin traurig". Alle Gefühle wollen gesehen werden. Gerne kannst Du auch hier Deine Gefühle schriftlich mal genau unter die Lupe nehmen. Erlaubst Du Dir zu trauern oder wütend zu sein? Wichtig: Eindruck braucht Ausdruck, sonst explodiert oder verfault man mental sinngemäß. Weg drücken ist zwar kurzfristig leichter, aber ungesund für die Psyche. Die möchte sich entlasten.

Hast Du einen einzelnen Termin oder die Chance auf Folgetermine? Gibt es vielleicht vor Ort eine Trauergruppe mit anderen Frauen? ich persönlich finde das immer das heilsamste- der Austausch mit Leidensgenossinnen.
Fühl Dich gedrückt, Susanne


zuletzt bearbeitet 28.01.2024 05:59 | nach oben springen

#3

RE: Sternenkind der 10. SSW kurz vor Weihnachten

in Eure Geschichte 27.01.2024 22:15
von Madeline_191223 • 8 Beiträge | 8 Punkte

Hallo liebe Susanne und vielen herzlichen Dank für dein Mitgefühl. Da hast du vermutlich Recht, dass mich das in gewisser Weise traumatisiert hat, vermutlich weil ich Ende der 10. Woche vor dem Termin schon sehr sicher war, dass alles gut ist und ich bisher niemanden kannte, dem das auch so passiert ist so früh.
Sie haben mir an dem Tag leider kein Ultraschallbild mehr mitgegeben, aber ich hab es dann am Montag danach explizit eingefordert und bekommen (ehrlich gesagt fand ich es traurig, dass ich es nicht wie sonst auch einfach sofort bekommen habe; vielleicht weil das Kind nicht mehr gelebt hat?)
Mein Partner und ich haben einen schönen Abschied am Bergfriedhof mit Abschiedsbriefen gemacht, die wir verbrannt haben. Wir haben dann am Sternkinderfeld eine Laterne mit selbstgestalteter Kerze für unser Kind abgestellt. Wir gehen nun regelmäßig hin, zünden die Kerze an und trauern. Manchmal geh ich auch jetzt in die Kirche nebenan und zünde eine Kerze an.

Ich habe vor ein paar Wochen alle Babyflyer genommen und in die Papiertonne geworfen (das tat so gut!) und die Ultraschallbilder habe ich dann mit dem Mutterpass in eine schöne rote Kiste gepackt, die jetzt einen prominenten Platz in meinem Schrank hat.

Ja, der Austausch mit anderen betroffenen Mamas könnte bestimmt helfen, aber hier in der Stadt (Heidelberg) scheint es gar nicht so viel zu geben. Ehrlich gesagt frage ich mich auch manchmal, ob mein Fall überhaupt schlimm genug ist, dass ich in so eine Gruppe gehen kann...

Zur Psychotherapie: Ich weiß leider noch nicht, ob ich auch Folgetermine bekommen werde. Hoffentlich. :)

zuletzt bearbeitet 27.01.2024 22:16 | nach oben springen

#4

RE: Sternenkind der 10. SSW kurz vor Weihnachten

in Eure Geschichte 28.01.2024 06:04
von Susanne • 4.599 Beiträge | 4617 Punkte

Das ist schön, dann habt Ihr ja Wege gefunden die Trauer zu durchleben, denn es führt leider nur der Weg "mittendurch". Irgendwann kommt man dann bei guter Pflege beim Punkt der "Anpassung" und der Integration des Erleben in die Biografie.
Ich glaube schon, dass es in Heidelberg so etwas gibt. Gibt es an sich in jeder größeren Stadt. Und auf jeden Fall kann da jede Frau, die um ein Kind trauert hin. Da wird niemand ausgegrenzt, die Trauer alleine gibt Dir Grund genug (zumindest ist das in meinen Gruppen so). Da sind Frauen aller SSW vertreten und keiner sollte die Trauer vergleichen, bewerten ob sie erlaubt oder angemessen ist.

Oft bekommt man ja kurzfristig nur einen Akuttermin ohne Folgetermine. Berichte bitte gerne, wie es bei Dir ist.

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#5

RE: Sternenkind der 10. SSW kurz vor Weihnachten

in Eure Geschichte 28.01.2024 13:23
von Punktpunktkommastrich • 164 Beiträge | 165 Punkte

Liebe Madeline,

dein Verlust tut mir leid. Ich kann gut nachvollziehen wie du dich fühlst. Wir haben unser erstes Kind in der 10. Woche verloren, auch eine MA und ich war vollkommen entsetzt, hatte ich doch noch alle Symptome. Ich hatte auch eine Ausscharbung damals, ich dachte ich möchte den Albtraum so schnell wie möglich beenden. Und auch meine Ausscharbung war sehr traumatisierend. Ich habe noch immer diese Bilder im Kopf, den Gang zum OP-Saal, halbnackt und ohne Brille, den grauenhaften Stuhl, wie mir die Maske zur Vollnarkose auf das weinende Gesicht gedrückt wurde, das tränenverschmierte Gesicht, weil ich seit dem fehlendem Herzschlag nur geweint habe. Der schwere Bauch beim betreten der Klinik und wie leer er sich anfühlte, als ich rausging. Die Einsamkeit in der Klinik, vllt lag das auch an Corona, aber ich fühlte mich einfach nur allein.
Ich konnte auch keine Babys oder Schwangere sehen. Es schmerzt natürlich. Und dann wurden auch noch Reste in der Gebärmutter gefunden, obwohl es nach der OP hieß alles wäre draußen. Und als wir wieder versuchen durften schwanger zu werden und wir auch bereit dafür waren, wurde ich es nicht mehr (dabei wurde ich in der ersten Schwangerschaft direkt beim ersten Versuch schwanger). Es dauerte einige Monate, bis es wieder klappte und die Schwangerschaft war auch voller Angst, aber zum Glück ging alles gut und wir haben ein wundervolles Regenbogenbaby bekommen.
Nun versuchen wir ein Geschwisterchen zu bekommen. Inzwischen hat sich unser Albtraum zwei weitere Male wiederholt, beide MA 10. Woche und zweimal Zwillinge, auch beide Male direkt im ersten Zyklus entstanden. Ich weiß manchmal nicht, wie ich das ertragen soll. Die Vorstellung, dass wir so viele Kinder in so kurzer Zeit verloren haben. Ich fühl mich einfach vom Schicksal verraten. Und habe manchmal schreckliche Ängste, wegen allem.
Was du beschreibst, klingt sehr wie ich mich nach der ersten Fehlgeburt fühlte. Alles war viel zu anstrengend, selbst alltägliches. Um ehrlich zu sein, glaube ich, ich hatte damals Depressionen. Eine Therapie ist deshalb sicherlich gut. Für mich war sie gerade in der neuen Schwangerschaft sehr wichtig.
Wenn du magst, kannst du mir auch gerne schreiben. Ich weiß, dass Austausch mit anderen heilsam sei kann.
Liebe Grüße!

zuletzt bearbeitet 28.01.2024 13:24 | nach oben springen


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