#1

Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 09.12.2023 15:23
von A.J. • 4 Beiträge | 4 Punkte

Hallo!

Unsere Geschichte ist sehr lang und wir sind bisher durch viele Höhen und Tiefen gegangen, um unseren Kinderwunsch zu realisieren. Aufgrund verschiedener Krankheiten, konnten wir nur durch künstliche Befruchtung dreimal schwanger werden.

Unser erster Sohn ist einige Tage nach der Geburt aufgrund einer schweren Krankheit verstorben. Es war extrem hart, aber wir haben sehr viel getrauert und den Tod gut verarbeitet. Danach haben wir eine gesunde Tochter bekommen. Nun war ich zum dritten Mal schwanger, aber dann endete die Schwangerschaft leider in einer frühen Fehlgeburt (6. SSW). Insgesamt hat es sich aber über mehrere Wochen hingezogen, weshalb wir am Ende einfach nur noch erleichtert waren, als eine Absaugung durchgeführt wurde und die Fruchthöhle „endlich“ entfernt war. Wir waren dadurch, dass es so lange gedauert hat und sich die Fruchthöhle nicht lösen wollte, viel zu viel damit beschäftigt und haben nicht getrauert. Ich dachte auch, ich habe ja schon viel schlimmeres durchgestanden, eine frühe Fehlgeburt wäre im Vergleich dazu eine Lappalie. Jetzt, 3 Monate nach der Fehlgeburt, merke ich aber, dass ich doch sehr traurig bin. Der ET wäre einen Tag vor dem Geburtstag unsere Tochter gewesen. Und nun ist auch noch eine Freundin schwanger, deren ET sehr nahe an meinem liegt.

Mein Freund trauert gar nicht und redet auch nicht über die Fehlgeburt. Für ihn ist es abgeschlossen. Er sagt immer, ich könne die Fehlgeburt nicht mit unserem verstorbenen Sohn vergleichen. Es stimmt ja auch, aber trotzdem haben wir auch dieses Kind verloren.

Wir haben es kaum jemandem erzählt, damit keiner weiß, dass wir wieder versuchen schwanger zu werden. Das würde mich zu sehr unter Druck setzen. Jetzt möchte mein Freund auch erstmal warten. Aber ich möchte eigentlich schnell einen weiteren Versuch starten (ich bin nicht mehr so jung). Das würde mir neue Kraft und ein neues Ziel geben. Unsere Familie fühlt sich noch nicht vollständig an. Und ich würde unserer Tochter so sehr ein lebendes Geschwisterchen wünschen!

Vielleicht habt ihr ein paar passende Worte für mich.

A.J.

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#2

RE: Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 09.12.2023 19:55
von Susanne • 4.599 Beiträge | 4617 Punkte

Hallo liebe AJ, herzlich Willkommen und mein Mitgefühl für Deine Verluste, den Tod Deines Sohns, und den steinigen Kiwu-Weg, den Ihr gehen müsst. Wenn Du den Eindruck hast, dass da noch Gefühle ungefühlt, unausgedrückt und weg gedrückt im Verborgenen schlummern, dann ist es nicht zu spät sich denen auch jetzt noch zu zuwenden. Da ist es auch egal, ob Dein Mann auch so empfindet oder eben nicht, wichtig ist hier-bist Du traurig, hast den Eindruck, dass da noch etwas nicht ausreichend beweint wurde, dann ist das so. Lass es Dir nicht ausreden oder kleinreden, so dass Du Deine Gefühle am Schluss auch als unangemessen bewertest. Es ist okay auch jetzt noch zu trauern.
Es gibt auch jetzt noch Möglichkeiten Abschied zu nehmen von dieser Seele. Schau mal hierhttps://www.fehlgeburt.info/ideen-zu...erbewaeltigung/ Morgen ist z.B. der worldwide candle lighting day. Vielleicht wird bei Euch in der Umgebung etwas dazu gemacht, wo Du hin gehen könntest, um diese Trauer und Zeit ganz Deinem jüngsten Verlust und auch Eurem Sohn zu widmen.
Fühl Dich gedrückt, Susanne


zuletzt bearbeitet 09.12.2023 20:52 | nach oben springen

#3

RE: Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 11.12.2023 11:48
von A.J. • 4 Beiträge | 4 Punkte

Danke für deine Worte, Susanne! Und danke für die Erinnerungen an den wordwide candle lighting day. Dieses Jahr habe ich zwei Kerzen ans Fenster gestellt.

Ich habe jetzt auch endlich angefangen, etwas zur Verarbeitung der Fehlgeburt zu tun. Ich habe meinem Kind einen Brief geschrieben. Dabei kamen viele Dinge zum Vorschein, die ich mir nicht eingestehen wollte, z.B. dass ich das Kleine sehr vermisse und auch Schuldgefühle habe. Jetzt geht es mir ein bisschen besser.

Leider muss ich aber alles mit mir selbst ausmachen, weil wir unseren Freunden und Familien nichts von der Fehlgeburt erzählt haben. Ich weiß, dass das nicht gesund ist, aber ich finde einfach nicht die richtige Person, mit der ich darüber reden kann. Als unser Sohn gestorben ist, sind wir sehr offen damit umgegangen. Leider konnten aber viele mit dem Thema überhaupt nicht umgehen und ich habe mich sehr über manche Reaktionen geärgert, aber noch viel mehr darüber, dass manche Leute nie wieder über meinen Sohn gesprochen haben, sondern so getan haben, als hätte es ihn nie gegeben. Manche haben mich sogar gemieden und Freundschaften sind zerbrochen.

Ich habe lange überlegt, meinen Eltern von der Fehlgeburt zu erzählen, aber meine Mutter ist immer noch so traurig über den Verlust ihres ersten Enkels. Ein zweiter Verlust würde ihr nochmal das Herz brechen.

Wenn ich die Fehlgeburt richtig verarbeiten will, muss ich doch darüber reden, oder? Wie macht ihr das? Wem habt ihr von eurer/en Fehlgeburt(en) erzählt?

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#4

RE: Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 11.12.2023 11:51
von Susanne • 4.599 Beiträge | 4617 Punkte

Es ist sicher gesünder und der erfolgversprechendere Weg zu Reden, oder mindestens irgendwie die Gefühle raus zu lassen. Sie werden sich so oder so den Weg bahnen. Eine Trauergruppe ist eine gute Sache. Gibt es so etwas bei Dir? Ich habe viel im Internet geschrieben, weil ich auch keine geeigneten Leute zum Reden hatte. Viele können leider nicht gut mit Trauer umgehen und hauen dann mit Floskeln um sich.

Warum hast Du Schuldgefühle?

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#5

RE: Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 12.12.2023 14:15
von Punktpunktkommastrich • 164 Beiträge | 165 Punkte

Mein Mitgefühl für deine Verluste!

Ich verstehe, was du meinst mit dem zu wenig getrauert... oder das Gefühl das nicht richtig zu machen. Mich hat die Arbeit bei der letzten FG wieder hart getroffen, weil sie mich so sehr drängt. Nicht einmal eine Woche ist es her, dass unsere Kinder im Bauch nicht mehr Leben und ich werde von meiner Leiterin gefragt wann ich wiederkomme. Mit einer Floskel vorne weg, wie Susanne schon schreibt.
Ich habe das Gefühl, nach einer Fehlgeburt steht die Welt still. Irgendwer schaltet das Licht aus und nichts bewegt sich mehr, in meiner Blase gibt es keine Bewegung. Und außerhalb rauscht alles vorbei und man will mich da so schnell wie möglich rausziehen.
Ich hab mich bei der ersten FG "rausziehen lassen". Und es war nicht gut, es war nicht meine Geschwindigkeit und Monate später brach ich zusammen. Dann ging gar nichts mehr.
Ich finde es auch schwierig für meine Ruhe zu kämpfen, denn eigentlich bin ich nicht in der Lage dazu. Und ich finde um richtig zu trauern, brauche ich diese Ruhe.
Setz dich nicht unter Druck, tu das was dir gut tut. Und was dir nicht gut tut, das lass sein. Manchmal müssen wir radikal für unsere Ruhe, unseren Frieden kämpfen.
Wir haben unsere Zwillinge auch noch nicht richtig verabschieden können. Ich weiß noch nicht wie ich das machen möchte, aber ich will mich in erster Linie auch da keinem Stress aussetzen.
Austausch mit anderen Betroffenen kann sicherlich helfen. Ich bin auch sehr froh um dieses Forum!
Ich hoffe du findest deinen Weg!

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#6

RE: Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 12.12.2023 22:04
von A.J. • 4 Beiträge | 4 Punkte

@ Susanne

An eine Trauergruppe habe ich auch schon gedacht. Ich hatte beim Tod meines Sohnes eine, die mir sehr geholfen hat.

Ich glaube, ich suche die Schuld bei mir, weil die Ursache für die Fehlgeburt nicht bekannt ist. Außerdem waren die Umstände alles andere als optimal. Ich habe die ganze künstliche Befruchtung ganz nebenbei gemacht, ohne mich gedanklich und emotional so richtig darauf einzulassen. Ich wollte mich nicht zu sehr reinsteigern, um nicht zu nervös zu werden. Man kann sich da ziemlich verrückt machen. Zur gleichen Zeit fand die Kita-Eingewöhnung meiner Tochter statt, die anstrengend war. Nach dem Embryotransfer waren wir alle krank und ich habe meine Tochter nächtelang alleine betreut, musste sie viel tragen und habe wenig geschlafen, obwohl ich selbst krank und frisch schwanger war. Einerseits habe ich mich zu Beginn der Schwangerschaft völlig überanstrengt, andererseits konnte ich mich (noch) nicht so richtig darauf einlassen (vielleicht auch als Selbstschutz, falls es nicht gut ausgehen würde?). Vielleicht hat mein Körper gemerkt, dass der Zeitpunkt nicht optimal für eine Schwangerschaft war.

Ich hätte besser auf mich achten und auch mehr Hilfe von meinem Partner einfordern müssen. Ich war auch sehr wütend auf ihn, weil er mir so wenig geholfen hat.

Diese Dinge gehen mir natürlich durch den Kopf. Wäre es anders gekommen, wenn die Umstände anders gewesen wären? Oder war der Embryo nicht lebensfähig? Auf diese Fragen gibt es leider keine Antworten…

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#7

RE: Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 12.12.2023 22:09
von A.J. • 4 Beiträge | 4 Punkte

@Punktpunktkommastrich

Es tut mir sehr leid, dass du deine Zwillinge und das Kind davor verloren hast!

Mit der Arbeit geht es mir ähnlich. Ich habe dort nicht erzählt, dass ich schwanger war und das Kind verloren habe. Das macht es wahrscheinlich umso schwerer dort zu funktionieren. Ich bin mit den Arbeitsbedingungen sowieso unzufrieden und mit meiner Trauer und Wut im Hintergrund komme ich manchmal richtig aggressiv von der Arbeit nach Hause und kann diese Wut nicht mehr loswerden. Die Arbeit nimmt mir zusätzlich meine Lebensfreude und meine Energie. Und man hat einfach keine Zeit zu trauern. Ich finde manche Dinge, die dort wichtig sind, einfach so unwichtig.

Wenn du dich nicht in der Lage fühlst zu arbeiten, solltest du dich wirklich krankschreiben lassen, gerade weil es noch so frisch ist und du erstmal Zeit brauchst, alles zu verarbeiten. Dein Hausarzt kann das machen. Wir sollten uns da nicht von Vorgesetzten unter Druck setzen lassen. Ich war nach dem Tod meines Sohnes 9 Monate krankgeschrieben (ich arbeite mit Kindern, das konnte ich einfach nicht mehr) und danach im Beschäftigungsverbot wegen meiner zweiten Schwangerschaft. Die Zeit ohne Verpflichtungen und ohne funktionieren zu müssen habe ich gebraucht. Wir müssen in dieser schweren Zeit besonders auf uns achten!

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#8

RE: Zu wenig getrauert?

in Eure Geschichte 13.12.2023 06:10
von Susanne • 4.599 Beiträge | 4617 Punkte

Ich denke, die Frage nach dem "Warum" ist ganz typisch und absolut jede/r stellt sie sich. Man sucht nach einer Erklärung für das Unbegreifliche. Aber am Ende des Tages bringt sie, wie Du selber sagst, meist zu keiner Erkenntnis, sondern lässt einen in der Trauer erstarren und bringt einen nicht weiter. Man dreht und dreht sich auf der Stelle und keiner wird einem die Antwort liefern können, bzw. es ändert schlussendlich nichts am Ausgang. Gerade Schuldgefühle und die pausenlose Frage nach dem "Warum" können dafür sorgen, dass Trauer kompliziert wird und sich verselbstständigt. Es kann daraus eine PTBS, Angststörung oder Depression entstehen.
Über die Schuldgefühle zu sprechen kann ein erster Anfang sein, Du musst Dich nicht schämen. Und wenn es keine reale Person ist, dann hier oder in einem Tagebuch.
Wie wäre es einen Entschuldigungsbrief an Dein Sternchen zu schreiben? Sag ihm, was Dich belastet und dass Du Dich schuldig fühlst. Den Brief kannst Du verbrennen, auch ein Abschiedsritual, und der Rauch trägt die Worte nach oben zu ihm.


zuletzt bearbeitet 13.12.2023 06:23 | nach oben springen


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