#1

Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 28.04.2023 11:29
von Vroni • 15 Beiträge | 15 Punkte

Liebes Forum,

seit einigen Tagen lese ich ich täglich verschiedene Beiträge in diesem Forum. Beiträge, die Hoffnung aber auch ganz viel Ehrfurcht und Angst hervorbringen. Ehrfurcht vor den vielen grausamen Schicksalen und Angst vor eben jenen. Denn seit kurzem gehöre ich zu einem Kreis, der mir bis dahin so weit weg schien und definitiv nicht mein Kreis war.

Mitte Dezember letzten Jahres wenige Tage vor meinem dreißigsten Geburtstag und vor Weihnachten habe ich einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen gehalten. Die Schwangerschaft war geplant und dennoch waren mein Partner und ich sehr freudig überfordert. Diese Überforderung nahm zu, als bereits beim ersten Ultraschall Zwillinge festgestellt wurden. Unsere Gedanken und Emotionen spielten verrückt. Natürlich unendliche Freude über dieses doppelte Glück, gleichzeitig machten wir uns automatisch Gedanken zur künftigen Organisation (Wohnung, Auto, Elternzeit) etc. Herausforderung die Einlingseltern nur einfach denken müssen. Schnell haben wir uns aber diesen Fragen gestellt und sind in die Planung gegangen.
Vor der 12ten Woche erzählten wir von unserem Glück nur der Familie und engsten Freunden - eben jenen Menschen, deren Unterstützung wir auch im Fall eines Verlusts gut gebrauchen könnten. In der 9ten Woche dann der erste Schock, ich hatte plötzlich Blutungen. Zwischen den Weihnachtsfeiertagen - gerade als wir dem Bruder meines Partners von den Zwillingen erzählten. Panik, Schock und Überforderung. Schon wieder. Bei uns beiden. Direkt am nächsten Tag bei meiner Frauenärztin die kleine Entwarnung - ein Hämatom war Auslöser und ich solle mich nun schonen, Progesteron und Magnesium. Die Blutung lies nach und ich erholte mich von dem Schock.
11te Woche: Erneut und viel stärkere Blutungen als beim ersten Mal. Wir sind direkt in der Nacht in die Notaufnahme gefahren und mussten glücklicherweise nicht lange warten. Beim Ultraschall haben unsere beiden Mäuse synchron Daumengenuggelt und sich fleißig bewegt. Das Hämatom hatte sich aber vergrößert und daher auch die starke Blutung. Schonen und beruhigen.
Schwangerschaftsbeschwerden - Hämorriden und Übelkeit machten mir das Leben zudem schwer und ich konnte so wenig genießen und mich beruhigen.
Zweites Trimester - Nackenfalte und auch andere Untersuchungen waren unauffällig und wir erleichtert, dass sich alles so gut entwickelt. Das Hämatom war zwar noch zu sehen, aber unauffällig und sollte uns nicht weiter beunruhigen.
Da wir eineiige Zwillinge erwarteten, die sich eine Plazenta teilten, wollte der Frauenarzt eben jene Verteilung der Plazenta und die Versorgung beider Mäuse erneut in vier Wochen überprüfen. Wenn ich mich richtig erinnere, folgten nun die einzigen vier/fünf Wochen, in denen wir uns entspannen konnten. Pläne schmieden, noch kleinere Reisen oder Ausflüge planen. Informierten uns zunehmend zur Erstaustattung von Zwillingen und die richtige Vorbereitung für unser doppeltes Glück. 5 Wochen in denen einfach alles gut sein durfte.

18+1 SSW: Kontrolle der Plazenta. Der Schock. Bei uns wurde das Feto-Fetale-Transfusionssyndrom festgestellt. Ein Zwilling bekommt zu viel der andere zu wenig und beide sind in großer Lebensgefahr durch diese Fehlversorgung. Überforderung. Wir sind direkt nach Hamburg zu den Spezialisten für dieses Syndrom gefahren. Kurze Entwarnung, das Syndrom ist noch nicht ausreichend fortgeschritten, um eingreifen zu können. Abwarten. Erneute Fahrt nach Hamburg - Operation zum Lasern wurde angesetzt. Ein Tag vor Operation: Blutungen, erneut vom Hämatom. Operation wegen der Blutung abgesagt. Zwei Tage später die Fruchtblase der Größeren platzt.
3 Wochen Krankenhausaufenthalt - wir exisitierten nur noch, Leben war nahezu keines mehr in uns (meinem Partner und mir). Mehrmals bot man uns einen aktiven Abbruch an. Prognosen und Aussichten sehr schlecht, doch nicht aussichtslos. Solange da noch ein Fünkchen Hoffnung ist, geben wir nicht auf. Kämpfen, kämpfen, kämpfen..Leben in der Hölle. Leben von Stunde zu Stunde, hoffentlich passiert nichts. Worauf hoffen wir, worauf arbeiten wir hin, manchmal vergessen wir das. Wir haben keine Kraft mehr. Doch die Mäuse, unsere zwei Mädels haben das verdient. Wir sind Eltern und können nicht abbrechen, sobald es unangenehm wird. Mein Körper ist nur noch eine leere Hülle. Erfüllt von Trauer und Schmerz, wenig Hoffnung an manchen Tagen. Mein früheres Ich ist weg. Wo ist es hin? Ich vermisse es so schmerzlich. Ich will schreien, rennen fliehen und LEBEN. Doch all das geht nicht, wird unterdrückt. Ich muss mich schonen, aufpassen. Ich schlafe kaum, beobachte meinen Körper, analysieren jedes Ziehen. Kann den Geruch des ständig abgehenden Fruchtwassers nicht mehr riechen. Daueranspannung, Dauerstress. Mein Partner existiert nur noch für uns, die Zwillinge und mich. Gibt alles und viel zu viel, gibt sich und seine Bedürfnisse auf, um stark für uns zu sein. Trägt alles auf seinen Schultern und versucht unter der Last nicht zu zerbrechen.

21+6 SSW
Blutungen. Kontrolle mit dem Ultraschall. Die Assistenzärztin holt die Oberärztin dazu. Die Plazenta löst sich ab. Luft, WO IST DIE LUFT? Sie bleibt mir weg. Was MACHE ICH HIER? Mein Partner ist kurz vor der Blutung heim gefahren. Die Ärztin gibt mir ihr Telefon, die Nummer meines Partners ist eingewählt. Du musst kommen. Was bedeutet das? Nach allem was wir getan und wie wir gekämpft haben. Wieder eine Sache die mir aus den Händen gleitet?? STOPP! Ich will alles Aufhalten, aber die Natur, mein Körper, die Zwillinge machen was anderes. Hämatom, Blutungen, Syndrom(FFTS), Blasensprung, Plazenta. Was soll ich machen? Wieso kann ich das nicht aufhalten?
Das Schicksal ist besiegelt. So die Ärzte zu mir und meinem Partner.
Mein Zweibettzimmer wird umgehend "geräumt" und mein Partner zieht ein. Bei meiner Krankenhausaufnahme sagte man zu mir, dass nur die Partner bei Schwangerschaftsabbrüchen, die unabdingbar unmittelbar bevorstehen, einziehen dürfen.

Das wars. Wir reden viel. Die Ärzte erklären alles sehr ausführlich. Kurze Erleichterung - die Ungewissheit hat ein Ende. Wir können mit dem Verlust der definitiv bevorsteht arbeiten. Der Schwebezustand hat ein Ende. Ich glaube, dass kann komisch für einige klingen, aber wie lange hätten wir den anderen Zustand noch durchstehen können. Mit welchen Folgen?

Wir schlafen und machen uns Gedanken, ob wir die Geburt einleiten sollen. Mein Partner ist sehr stark dafür, aber ich fühle es nicht. Ich fühle nur ein NEIN zu allem. Wir schauen ein Video zu einem späten Abort an. Mein Partner weint, das erste Mal seit sechs Jahren Beziehung.
Ich kann ihn nicht mehr Leiden sehen. Worauf warten, dass durch die Blutung eine Notoperation, Kaiserschnitt stattfinden muss? Das sei sehr wahrscheinlich, würden wir nicht eingreifen.

Wir leiten die Geburt ein. 21+7. Eine Tablette und die Wehen setzen schon stark und schnell ein. Ich habe keine Beziehung mehr zu meinem Bauch. Ich kann nicht.
Schmerzen nehmen mir den Bezug zur Realität in der wir uns gerade befinden.
Kreißsaal und mit einer weiteren Tablette kommen unsere Zwillinge am 16.04.2023 zur Welt, in der 22ten SSW. Zu früh, zu klein und doch vollkommen.
Eine tolle Hebammenbetreuung. Ich nehme sie zu mir auf den Arm und plötzlich ist alles still und friedlich. Surreal. Mein Partner möchte die Zwillinge nicht sehen. Ich höre ihn auf dem Gang weinen. Mein Herz bricht. Er ist mir das Wichtigste, er soll nicht leiden. Während ich das schreibe, begreife ich nicht. Ich begreife nicht, ich begreife vielleicht auch nie. Akzeptieren ist noch so weit entfernt und doch die einzige Lösung. Akzeptieren, dass die Natur entschieden hat.

Wir haben verloren, den Kampf, euch.
Ich verstehe es nicht.
Wir konnten euch nicht festhalten, wie das Wasser, seid ihr uns durch die Finger entronnen. Beim Duschen betrachte ich meine Hände, das Wasser fließt zwischen meinen Händen. Unaufhaltsam. Rinnt zwischen den Fingern hindurch. Das waren die letzten Monate. Das wart ihr meine beiden wunderbaren Mäuse.
Und jetzt steht alles still nichts fließt und ich bin gefangen in einem Albtraum, der mein Leben sein soll. Ich will das nicht. ICH WILL DAS NICHT!

Tag für Tag, Schritt für Schritt und hoffen, dass meine Psyche das schafft, in ihrem Tempo. Vertrauen und Zeit.

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#2

RE: Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 28.04.2023 12:02
von besenkrebs • 59 Beiträge | 59 Punkte

Liebe Vroni, ich fühle Dich und mit Dir. Ich kann dazu nichts schreiben was hilft. Nur das Du nicht alleine bist.

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#3

RE: Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 28.04.2023 12:42
von Nelke • 2.174 Beiträge | 2184 Punkte

Liebe Vroni,
ihr habt alles gegeben. Wirklich alles. Niemand hätte mehr geben können. Ihr tragt keine Schuld.
Ich lese deine Zeilen und spüre nur ansatzweise, wie es dir gehen muss. Es tut mir sehr leid.
Habt ihr beide Unterstützung zu Hause?
Wie geht es dir körperlich?
Konnten im Krankenhaus Fotos von euren zwei Mädels gemacht werden?
Könnt ihr beide über das Geschehene sprechen?
Bitte sei dir bewusst, dass jeder Mensch anders trauert und es sein kann, dass du und dein Mann nicht gleich schnell die Verluste verarbeiten könnt.
Fühl dich fest umarmt, 🌸

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#4

RE: Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 28.04.2023 13:22
von Susanne • 4.596 Beiträge | 4614 Punkte

Hallo liebe Vroni, herzlich Willkommen und mein tiefstes Mitgefühl für Deinen Verlust. Ein lang anhaltender Alptraum, durch den ihr da musstet.. Ich kann verstehen, dass, als dann das Ende nahte, Ihr eine gewisse Erleichterung gespürt habt, weil dieser Zustand zwischen Himmel und Hölle sehr, sehr ermüdend und nervenzehrend ist.

Hast Du eine liebe Hebamme an Deiner Seite? Habt Ihr schon über psychologische Hilfe nachgedacht, oder eine Selbsthilfegruppe?

Wie "funktionierst" Du? Sprich Essen, Trinken, Schlafen, kümmerst Du Dich um Dich wie eine gute Freundin?
Wie begegnet Ihr der Trauer, wie geht Ihr/Du mit ihr um? Lässt Du sie zu, verdrängst Du eher, gehst Du analytisch an das Geschehene heran, wie würdest Du Dich da einschätzen. Wichtig ist, dass Trauer eine Ausdrucksform bekommt. Hast Du da für Dich schon über einen Weg der Kanalisation nachgedacht? Sport, Schreiben, Kunst, Musik, Sprechen

Fühl Dich gedrückt, Susanne


zuletzt bearbeitet 28.04.2023 13:29 | nach oben springen

#5

RE: Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 29.04.2023 08:23
von Vroni • 15 Beiträge | 15 Punkte

Lieben Dank für eure Zeit meine Geschichte zu lesen und eure Gedanken und Antworten hierzu <3
Das bedeutet wirklich viel.

Liebe Susanne,

ich habe tatsächlich das Glück eine tolle Hebamme an meiner Seite zu haben, die sich sehr gut um uns kümmert. In Therapie bin ich derzeit auch und dankbar, dass ich das Glück dieser doppelten Unterstützung habe. Das ist leider ganz und gar nicht selbstverständlich.
Bald beginnt auch ein Rückbildungskurs für verwaiste Mütter, hier bin ich auch sehr gespannt.

Der Rest funktioniert aus Gewohnheit. Ich kümmere mich gut, aber nicht weil ich Freude daran habe, sondern vielmehr weil man es halt so macht. Alles ist mehr oder minder Autopilot und löst keine wahren Emotionen aus. Außer Trauer, Wut und Taubheit. Oftmals analysiere ich meinen Zustand, möchte dadurch den Prozess beschleunigen. Doch auch meine Therapeutin meinte: "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht." Sport würde ich gerne bald wieder machen, muss aber noch ein bisschen warten laut Hebamme und Gyn.

An alle anderen Betroffenen, die vielleicht ihren aktuellen Zustand auch nicht verstehen oder Angst vor der Entwicklung ihrer Psyche haben, so geht es mir ab und an, meine Therapeutin meinte, dass man erstmal vertrauen soll, dass die Psyche das von alleine regelt. Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte. Und dass Taubheit, Wut etc alle dazubeitragen zu heilen.
Diesem Prozess mit Liebe begegnen und Zeit...

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#6

RE: Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 29.04.2023 08:27
von Vroni • 15 Beiträge | 15 Punkte

Liebe Nelke,

danke danke danke! Diese Worte tun so unendlich gut. Dass du unsere Geschichte verstanden hast und so genau die richtigen Worte wählen konntest.
Danke für deine Zeit.
Körperlich lassen nach und nach alle Schwangerschaftswehwehchen nach und mein Körper hat den Zustand vor der Schwangerschaft fast erreicht. Schon komisch, so sehr ih mir das auch wünschte, so sehr gibt es körperlich bald keinen "Beweis" mehr, dass das alles echt war. Dass ich wirklich schwanger war und die letzten sechs Monate kein Traum.
Fotos wurden gemacht, aber ich konnte sie mir noch nicht anschauen.
Wir trauern tatsächlich anders. Glücklicherweise war uns das aber bereits vorher sehr bewusst und daher versuchen wir, mal besser und mal schlechter, uns vor allem mit Verständnis und Liebe zu begegnen.

Eine Umarmung auch zu dir

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#7

RE: Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 29.04.2023 08:28
von Vroni • 15 Beiträge | 15 Punkte

Danke liebe Besenkrebs. Du auch nicht. Ich denke an dich und schicke dir viel Liebe.

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#8

RE: Sie waren nur viel zu klein...

in Eure Geschichte 01.05.2023 08:19
von Nelke • 2.174 Beiträge | 2184 Punkte

Hallo Vroni,

es freut mich sehr, die richtigen Worte gefunden zu haben.
Dass ihr eure unterschiedlichen Trauerwege akzeptieren könnt, ist sehr gut 👍
Die Fotos werdet ihr euch irgendwann anschauen können, da bin ich mir sicher. Sie laufen nicht weg, eines Tages wollt ihr den Umschlag aufmachen und dann ist es okay.
Kannst du die körperlichen Veränderungen positiv sehen? Dein Körper heilt bereits, die Seele braucht noch, aber es geht langsam in die richtige Richtung.
Wenn du Körperlich wieder fit bist, kannst du der Trauer auch besser Ausdruck verschaffen. Manche Frauen malen gerne, bearbeiten Dinge mit ihren Händen, machen Sport oder stürzen sich in sowas wie die Gartenarbeit.
Melde dich weiterhin, wenn du jemanden zum Reden brauchst oder deine Geschichte weiter erzählen möchtest.
Liebe Grüße und ein paar Sonnenstrahlen 🌸

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