#1

Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 15.02.2023 14:35
von Andrea149 • 5 Beiträge | 5 Punkte

Hallo liebe Community,

nach ein paar Wochen, in denen es mehr oder weniger "gut" lief, bin ich wieder in ein tiefes Loch gefallen und suche nach Boden unter den Füßen. Vielleicht mögt ihr mich ein bisschen dabei begleiten? Vielleicht hilft auch einfach das Erzählen oder das Lesen eurer Geschichten. Ich denke, jede und jeder muss seinen eigenen Weg finden, und ich hoffe, dieses Forum kann für mich ein Puzzleteil dabei sein.

Es war in der 10. Woche, im Oktober 2022. Zwei Wochen zuvor hatte ich noch den Herzschlag gesehen. Der Test war positiv an dem Morgen, als wir mit unserem Sohn (damals knapp 2 Jahre alt) in den Urlaub geflogen sind. Ich hatte nicht damit gerechnet - es war quasi ein Schuss, ein Treffer - aber natürlich war ich sehr glücklich, das Mäuschen mit auf die Reise zu nehmen. Die körperlichen Symptome waren sehr stark und haben mich ständig daran erinnert, dass das Mäuschen da war. Es war anstrengend, aber sehr schön. Nach dem Urlaub dann der Besuch beim Arzt, mit weichen Knien. Und: Ein kräftiger Herzschlag, alles gut. Schon mehr als nur eine Fruchthöhle. Schmetterlinge im Bauch!
Dann, zwei Wochen später hatte ich abends und dann morgens noch einmal ein leichtes Ziehen im Unterleib. Ich wollte nur zum Arzt, um mich zu beruhigen, bevor die Praxis für eine Woche geschlossen war. Und dann dieser Moment, der seitdem ständig vor mir wieder abläuft: "Es tut mir leid, ich sehe keine Herzaktivität mehr." Das Bild: Das Mäuschen, schon als richtiger kleiner Mensch erkennbar, reglos, ohne Herzschlag.

Der Gedanke, das Mäuschen aus meinem Körper zu reißen, war mir unerträglich, daher habe ich mich für den natürlichen Weg entschieden. Zwei Wochen lang fühlte mein Körper sich noch genauso schwanger an wie bisher. Er hatte noch nicht mitgekriegt, dass etwas nicht stimmt. Und die Blutung kam nicht. Ich habe alles mögliche versucht, um mich zu verabschieden, eine Trauerberatung besucht, mit Mäuschen gesprochen, ein Stofftier gekauft, um irgendwie doch mit ihr kuscheln zu können. Aber mein Körper wollte es nicht hergeben.
Nach 3 1/2 Wochen sagte mir meine beste Freundin, dass sie wieder schwanger ist. Ich habe einen ganzen Abend am Stück geheult und mich dann dazu entschieden, eine wehenfördernde Tablette zu nehmen, um die Blutung auszulösen. Meine Seele konnte es nicht mehr, diesen Schwebezustand, dieses endlose Warten. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, Vorwürfe, dass ich es nicht schaffe, loszulassen, Vorwürfe, dass mein lebender Sohn möglicherweise darunter leidet, Vorwürfe, dass mein Körper es nicht geschafft hat, das Mäuschen am Leben zu halten. Die Tabletten haben erst nicht gewirkt, dann habe ich noch eine Dosis genommen und in der Nacht danach hat Mäuschen es hinausgeschafft. Es war fast nicht auszuhalten und ich bin mehrfach umgekippt.
Leider war das nicht das Ende, denn es war noch Schleimhautgewebe zurückgeblieben. Also musste ich eine Woche später - einen Tag nach dem 2. Geburtstag meines Sohnes - doch noch ins Krankenhaus für eine Nachcurretage. Dort war ich sehr froh, dass es "nur noch" Gewebe war, das entfernt werden musste und nicht das Mäuschen. Die Entscheidung für einen anderen Verlauf war für mich richtig.

Das Ganze hat fast sechs Wochen gedauert, also musste ich ziemlich schnell danach wieder zurück ins Berufsleben. Ich hatte das Gefühl, das Arbeiten hilft mir und ich war stolz, dass ich irgendwann wieder lachen konnte und funktioniert habe. Nun habe ich das Gefühl, ich habe mich damit auch betäubt. Mein Verlauf, die Entscheidungen, die ich treffen musste, und was ich mit meinem Körper machen musste, war brutal. Und er hat mir nicht verziehen, signalisiert mir seit zwei Monaten mit den typischen Symptomen, wieder schwanger zu sein, und dann ist es nicht so. Ich möchte auch weg von der Vorstellung, dass "alles wieder gut" ist, sollte ich jemals wieder schwanger sein, denn der Schmerz ist ja da, und ein Kind soll niemals dazu da sein, mich zu heilen oder zu stützen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl - teils vielleicht berechtigt, teils sicherlich panisch - dass mir die Zeit davonläuft. Ich bin Ende September, also zwei Wochen nach dem positiven Test, 40 geworden. Und es kommt mir auch extrem undankbar vor, mein Leben mit meinem wundervollen, tollen und gesunden Sohn, eventuell ohne weiteres Geschwisterchen, als "Schreckensvision" zu betrachten. Das ist es nicht, es ist toll. Es hing nur eine dicke Karotte mit einem vielleicht noch tolleren Leben zu viert vor meiner Nase und wurde mir wieder weggenommen. Und das ist schwer zu ertragen.

Es ist wie bei anderen hier, Babys und Schwangere triggern mich nach wie vor extrem. Ich habe versucht, mich dem auszusetzen, quasi als Expositionstherapie, aber das macht es nur noch schlimmer. Ich denke, ich stecke immer noch in diesem Schockzustand fest. Und das zu erkennen ist vielleicht der erste Schritt aus dem Loch heraus. Für mich, aber auch und sehr stark für meinen kleinen Sohn.

Das ist sehr lang geworden. Wenn ihr bis hierhin gelesen habt, lieben Dank fürs Durchhalten. Es tat schon gut, das alles einmal aufzuschreiben.
Wir sind alle Heldinnen und Helden, und irgendwie schaffen wir das...

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#2

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 15.02.2023 15:58
von Susanne • 4.598 Beiträge | 4616 Punkte

Hallo liebe Andrea, herzlich willkommen und mein Mitgefühl für deinen Verlust. Herzlichen Dank, dass Du Deine Geschichte mit uns teilst und Dich anvertraust. Das wird vielen, die noch kommen werden, eine hilfreiche Stütze sein, um sich nicht so allein zu fühlen. Denn tatsächlich ähneln sich alle Geschichten und Gefühle in gewissen Zügen und jede erkennt sich an der ein oder anderen Stelle wieder.

Ich finde nicht, dass Du Dich für Den weiteren Kinderwunsch rechtfertigen musst, denn er ist genauso legitim wieder erste. Jeder hat ja eine gewisse Vorstellung von seinem Leben und es ist erschütternd, wenn Träume und Hoffnungen In weite Ferne rücken. Ich hoffe,der Austausch hilft dir, fühl dich gedrückt, susanne


zuletzt bearbeitet 15.02.2023 15:59 | nach oben springen

#3

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 15.02.2023 20:49
von Andrea149 • 5 Beiträge | 5 Punkte

Liebe Susanne, vielen Dank für die lieben Worte.

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#4

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 15.02.2023 23:47
von Nelke • 2.178 Beiträge | 2188 Punkte

Liebe Andrea,
es tut mir leid, das du dein würmchen verloren hast.
Dein Körper hat nicht versagt. Es ist etwas ganz, ganz schlimmes passiert. Aber dein Körper hat nicht die Schuld dafür, dass das kleine Wesen keinen Herzschlag mehr hatte. Auch du hast nichts falsch gemacht oder trägst daran schuld.
Wahrscheinlich ist bei der Zellteilung etwas schief gelaufen und es wäre sehr krank gewesen oder hätte die Geburt nicht überlebt. So etwas erkennt unser Körper und versucht uns vor etwas noch viel schlimmeren zu bewahren... Auch wenn es uns in der Trauerphase so vorkommt, als könnte es nichts schlimmeres geben.
Du hast einen sehr kleinen Menschen mit einem Herzschlag gesehen. Es zu verlieren ist gegen jede logische Vernunft. Die Verarbeitung dauert hierfür so lange wie es dauert. Jeder Mensch ist anders.
Ich empfand den Weg der Trauer wie ein Meer mit hohen, guten Wellen und nachfolgend den Sturz weit nach unten. Die Wellen wurden mit der Zeit flacher und die Tiefs nicht mehr so tief. Vielleicht hat dir die Arbeit auch deswegen so gut getan , weil es ein hoch war?
Eine neue Schwangerschaft ersetzt nicht das verlorene, aber es gibt einem das Grundvertrauen ins Leben zurück. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.
Wie geht es dir körperlich nach der ausschabung?
Kannst du mit jemanden aus deinem Umfeld reden?
Es gibt übrigens im Internet Kinderbücher, die erklären, warum die Mama so traurig ist... Vielleicht kann es euch etwas helfen?
Fühl dich fest umarmt 🌸

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#5

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 16.02.2023 15:18
von Christina Seyfert • 3 Beiträge | 3 Punkte

Liebe Andrea,

Eine grosse Umarmung für dich und deinen Schmerz.
Ich kann dich in vielen Punkten gut verstehen und finde, dass du sehr stark bist um so ehrlich zu sein.

Auch diese grosse Karotte vor der Nase beschreibt es so gut...Wir haben eine Zukunftsvorstellung verloren und es ist einfach schwer zu begreifen warum.

Ich finde du darfst trotz tollen Männern in deinem Leben dieser Karotte nachtrauern und deinem tollen Mäuschen. Es ist einfach ein grosser Verlust und was der Körper da durchmachen muss ist auch einfach krass.

Ich sende dir viel Kraft, Liebe und hoffe du findest einen Weg mit dem Wunsch und dem fortschreitenden Alter umzugehen.
Alles alles Liebe

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#6

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 16.02.2023 23:29
von Andrea149 • 5 Beiträge | 5 Punkte

Liebe Nelke,

vielen lieben Dank für deine Worte. Der Arzt meinte auch, dass es ein wenig so aussieht, als sei etwas mit dem Kind nicht in Ordnung. Genau wird man es nie wissen, aber ich hatte auch den Gedanken, dass es uns so vielleicht eine schwere Entscheidung erspart hat... Du hast so recht, der Körper erkennt, was los ist. Aber es ist trotzdem sehr schwer. Und ja, auch nicht zu begreifen.

Das Bild mit dem Meer finde ich sehr schön. Gerade ist es ein Tief, aber auch das gehört wohl dazu. Ich glaube, es ist wichtig, wieder auf sich selber zu hören, ganz egal, wie "man" eigentlich trauert. Das zu spüren ist auch schwierig, wenn man es sich lange nicht erlaubt hat, erlauben konnte. Es ist tröstlich, dass du sagst, dass die Wellen kleiner werden, darauf hoffe ich...
Das mit dem Vertrauen ist ein sehr wichtiger Punkt. Mein Körper und ich vertrauen uns seit der Fehlgeburt nicht mehr so sehr gegenseitig. Ich weiß, was mein Körper leisten kann, und meine erste Schwangerschaft hat mir eine ganz neue Hochachtung vor ihm gegeben. Aber ich habe das Gefühl, wir haben ganz schön gegeneinander gekämpft und ich habe ihn auch nicht besonders gut behandelt. Auch hier ist die Aufgabe glaube ich Versöhnung. Und Zuhören. Ohne das kann es mit einer weiteren Schwangerschaft glaube ich nicht so einfach etwas werden. Und ja, das würde natürlich dabei helfen, wieder Vertrauen zu fassen. Auch wenn ich sicher nicht mehr so vertrauensvoll und optimistisch damit umgehen könnte wie vorher.
Die Ausschabung war schon Ende November und körperlich war das ziemlich schnell okay. Mein Zyklus läuft auch seit zwei Monaten wieder wie ein Uhrwerk, was ja ein gutes Zeichen ist. Es gibt ehrlich gesagt kaum eine Frau in meinem Umfeld, die das noch nicht erlebt hat... Krass, aber Realität. Allerdings hat jede von ihnen auch genug in ihrem eigenen Rucksack, und ich habe ohnehin immer Sorge, anderen mit meinen Problemen zuviel aufzubürden. Aber ich suche mir Hilfe.

Das mit den Büchern ist eine gute Idee. Danach suche ich einmal. :-)

Fühl dich auch fest zurückumarmt!


zuletzt bearbeitet 16.02.2023 23:29 | nach oben springen

#7

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 16.02.2023 23:35
von Andrea149 • 5 Beiträge | 5 Punkte

Liebe Christina,

vielen lieben Dank.
Diese Karotte vor der Nase, das kenne ich leider schon. Aber so brutal war es noch nie mit dem Wegnehmen. Auch wenn man rational weiß, wie oft es schiefgeht, man kann ja gar nicht anders als schon Pläne zu machen, sich Gedanken zu machen und auch Sorgen. Das bereue ich, ich habe mir zu viele Sorgen gemacht und gefühlt zu wenig gefreut, als ich es erfahren habe. Ich hätte die Sorgen auf später verschieben sollen. Oder auf nie. Irgendwie geht es immer weiter. Das hat mir das Mäuschen beigebracht. Und irgendwie wird sie immer bei uns sein.

Ich denke, gnädig sein mit sich selber, das ist auch wichtig. Ich kann ja eine liebevolle Mama für mein lebendes Kind sein und trotzdem trauern, das versuche ich gerade zu verstehen. Und mir auch zu erlauben. Ich habe das Gefühl, den Schmerz wegzudrücken vergiftet das Tolle, was ich eigentlich habe, obwohl ich das Gegenteil damit erreichen möchte. Der Weg ist noch weit... Aber wir schaffen das.

Ganz liebe Grüße!

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#8

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 17.02.2023 05:47
von Nelke • 2.178 Beiträge | 2188 Punkte

Liebe Andrea,
danke für deine Umarmung.
Wenn du in deinem Umfeld nicht zu jeder Zeit reden kannst, bist du hier genau richtig. Irgendjemand liegt hier nachts bestimmt noch immer wach und der Vorteil am schreiben ist, man fühlt als ob man etwas für die Trauer machen konnte.
Wir haben ein Regenbogenbaby und die Sternchen werden immer ein Teil von uns sein. Irgendwann werden ich unserer Tochter auch so ein Buch besorgen 😊
Liebe Grüße und einen relativ guten Start in den Tag!

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#9

RE: Ein schlagendes Herz und dann nicht mehr - Die 10. Woche

in Eure Geschichte 17.02.2023 15:19
von Andrea149 • 5 Beiträge | 5 Punkte

Liebe Nelke,

es scheint so, als wärst du eine von denen, die zumindest letzte Nacht wach waren... Ich drücke dich von hier aus noch einmal. Manches kann man auch nicht mit jedem bereden. Oder man denkt, dass das Thema für manch andere schon zu viel oder zu lang oder zu irgendwas ist. Hier wissen alle, wovon wir sprechen. Und man kann vielleicht auch ein bisschen ins Blaue hineinschreiben, für sich selber, und wenn man Glück hat, antworten liebe Menschen wie du oder die anderen.
Wie lange nach deiner Fehlgeburt hat sich denn euer Regenbogenwunder auf den Weg gemacht? Und war die Schwangerschaft dadurch besonders für dich, besonders schön oder besonders angsterfüllt? Wie alt ist eure Kleine denn? Ich wünsche euch von Herzen ein schönes Leben zusammen, mit Sternchen und Regenbogenmaus!

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