#1

Von der Zeit danach

in Eure Geschichte 12.12.2020 16:08
von anni1509 • 5 Beiträge | 5 Punkte

Ich muss es einfach mal alles erzählen.
Es ist schon einige Zeit her. Im Frühling dachte ich, dass ich schwanger bin. Die Freude war groß, nachdem wir es erst 4 Monate versucht hatten und ich den Wunsch schon sehr viel länger hege als mein Mann. Ich wusste dass es noch sehr früh war und auch die FA meinte, es könnte sein, dass man noch nichts auf dem Ultraschall sieht. Der Bluttest war jedoch positiv. Wir vereinbarten einen neuen Termin für die nächste Woche. Doch übers Wochenende bekam ich eine Blutung, am Montag telefonierte ich mit der Ärztin, die mir dann mitteilte, dass ich schwanger war. 2 Wochen später sollte ich nochmal in die Praxis kommen. Nochmal Bluttest, um mir die traurige Gewissheit zu bestätigen. Doch dann die Überraschung, der hcg war gestiegen. Hoffnung aber auch Verwirrtheit machen sich breit. Hatte sich da doch etwas festgehalten? Erneute Ultraschalluntersuchung, ich wäre rein rechnerisch in der 8. Woche gewesen. Keine Fruchtblase, nichts...aber immer noch erhöhter hcg. Da die Osterfeiertage bevorstanden, schickte meine FA mich zur Sicherheit ins Krankenhaus, um eine evtl ELS zu diagnostizieren. long story short, am Ostersonntag wurde ich notoperiert, nachdem zuvor ambulant täglich der hcg überwacht wurde. Mal sank er ab, dann gings wieder bergauf. Bei der Ultraschalluntersuchung am Ostersonntag war dann auch der Chefarzt dabei, was ja eigentlich nie gut ist. 20 Minuten später lag ich auf dem OP-Tisch. Ich hatte gerade noch genug Zeit, meinen Mann anzurufen. Es verlief alles ok, aber mir wurde gesagt, dass es quasi kurz vor 12 war. Der Eileiter war schon angerissen und erste Blutungen Richtung Bauchhöhle waren zu sehen. Am Tag nach der OP kam ich auf ein Zimmer mit einer Frau Anfang 20, die im 5. Monat schwanger war. "OH ja endlich Gesellschaft" sagte sie fröhlich, als ich ins Zimmer geschoben wurde. Juhu, dachte ich mir, genau mein Humor. 4 Tage lag ich dort mit ihr, sensibel war sie nicht gerade, aber da sie auch Bettruhe hatte, konnte sie das Zimmer für die fröhlichen Telefonate mit ihrem Freund natürlich nicht woanders machen. Besuchsverbot dank Corona machte die Sache perfekt, die Krönung war ein Besuch des Psychologen für meine Bettnachbarin, weil sie so eine komplizierte SS hatte und man ihr psychologische Betreuung anbieten wolle. Am Donnerstag durfte ich endlich nach Hause. Mein Mann kümmerte sich gut um mich. Aber innerlich war alles weg. Alles war nur noch leer und einfach weg. Ich fühlte mich meines größten Lebenstraumes beraubt. Es musste sein und ich bin auf der anderen Seite sehr dankbar, dass meine FA so gründlich war und nicht die Feiertage abwarten wollte. Die Gespräche mit Familie und Freunden waren schrecklich. Es kamen Sprüche wie "naja dann hat es eben nicht sein sollen" und "so schlimm ist das nicht, das erleben so viele Frauen". Mein Favorit: "Du bist doch noch so jung, stress dich da mal nicht so rein". Danke für nichts.
Ich arbeite in einem Kindergarten in einem sozialen Brennpunktgebiet und habe "dank" Corona noch nach meiner Krankschreibung Zeit daheim verbringen können. Am meinem ersten Arbeitstag traf ich prompt eine rauchende, schwangere Mutter von uns vor der Kita. Das muss ich glaube ich nicht weiter kommentieren, aber für mich war das der Startpunkt eines absolut schrecklichen Gefühlskarusells. Trauer mischte sich mit Wut, Ärger, erloschener Vorfreude und allen voran: Neid. Auch eine Kollegin wurde fast zeitgleich mit mir schwanger und hielt uns munter auf dem Laufenden. Yay. Das alles war im Frühjahr. Insgesamt war ich von ersten Schwangerschaftsverdacht bis zur letzten Nachsorgeuntersuchung 22 Mal auf einem Gyn-Untersuchungsstuhl. 10 hcg Kontrollen, immer wieder Konfrontation. Dann Ende Mai der letzte Besuch bei meiner FA, die mir bestätigte, dass ich keine Folgeschäden habe und wir es in ca 3 Monaten wieder probieren dürfen, vorausgesetzt ich habe regelmäßige Zyklen. Jetzt ist Dezember, eine Freundin hat ihr Kind totgeboren, die andere hätte es fast verloren, eine andere ist "ungewollt" schwanger. Es hört einfach nicht auf. Ich frage mich, wie ich das verarbeiten soll, denn die andauernde Konfrontation macht nichts besser. Wir versuchen es jetzt seit September wieder und es hat noch nicht geklappt. Ein Kreislauf aus Planung, Eisprungtests, Vorfreude, Liebe, Hoffnung, Enttäuschung, Frust, Traurigkeit. Ich versuche positiv zu denken, denn objektiv betrachtet, ist es noch zu nichts zu spät. Trotzdem leidet meine Seele weiter...

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#2

RE: Von der Zeit danach

in Eure Geschichte 12.12.2020 21:32
von Nelke • 2.242 Beiträge | 2252 Punkte

Hallo anni,
Fühl dich erst einmal umarmt ❤️ es tut mir sehr leid, dass auch du eine Sternenmami wurdest.
Es tut so weh, wenn man ließt, dass man dich neben eine schwangere gelegt hat. Da würde man doch nur davon laufen wollen...
Diese Floskeln deiner Freunde und Verwandte sind nur gut gemeint. Jede hier kann deine Gefühle nachvollziehen. Mein Favorit ist immernoch "du wirst schon sehen, die Natur macht das schon. Das hat alles seine Richtigkeit!". Sie wissen nicht, wie es sich für uns anfühlt. Jeder, der ein Sternchen hat, würde solche Sachen nicht sagen.
Hier wirst du dich in all den Geschichten wieder finden. Mir hilft das Forum sehr. Wir sind mit unseren Gedanken und Gefühlen nicht alleine.
Es scheint aber, dass du mit deiner Ärztin Glück hast 👍
Wie soll man diese Schicksalsschläge verarbeiten? Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass die Zeit alle Wunden nicht unbedingt heilt, aber lindert. Vergessen wird man es nie. Aber es wird ganz langsam besser.
Ich bin in einer Kinderwunschpraxis in Behandlung. Die Zykluskontrolle dort fällt mir leichter, als selbstständig sich jeden Tag zu Hause verrückt zu machen. Mit den Ultraschallkontrollen weiß man, wie es voran geht und kann die Tage dazwischen besser runter kommen.
Ich wünsche dir viel Kraft und melde dich doch wieder, wie es dir geht.
Liebe Grüße

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#3

RE: Von der Zeit danach

in Eure Geschichte 13.12.2020 08:24
von Susanne • 4.687 Beiträge | 4705 Punkte

Liebe Anni, herzlich Willkommen und mein Mitgefühl für Deinen Verlust und all die Gefühle, die aufkamen und mit denen Du konfrontiert wurdest. Es ist eine harte Zeit, durch die man muss und sie verlangt einem sehr viel ab.
Dazu kommt dann noch die lange erfolglose Kiwu Zeit, die zusätzlich an den Nerven zehrt. Das ist schon alles viel.

Vielleicht magst Du Dich im Hibbelthread mit den anderen austauschen? Gemeinsames warten und seine Gefühle auszutauschen tut manches mal und einigen gut. Dort kann man über seine Sorgen, seine Nervosität, Aufgeregtheit, Enttäuschung, Freude mit anderen reden, denen es auch so geht.

Liebe Grüße, Susanne

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