#1

Freude nach kraftraubenden Ereignissen?

in Ich bin einfach sehr traurig und möchte reden 26.02.2020 11:56
von Fenoglio
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Hallo Zusammen, 

bin gerade auf dieses Forum gestoßen und fühle mich von der Forenaufteilung und den Theme angesprochen. Bis heute war ich nur Leserin, habe aber öffentlich nicht geteilt. Denke aber, das Schreiben tut gut und vielleicht hat ja noch jemand eine gute Anregung... 

Wie geht ihr mit Phasen um, in denen nacheinander mehrere kraftraubende Ereignisse passieren, auf die man keinen Einfluss hatte?

Meine Story: Anfang November hatte ich einen missed Abort, einen Tag zuvor haben wir erfahren dass wir wegen Eigenbedarf aus unserer Wohnung raus müssen (da sagte ich noch zu meiner Frau, es soll uns nie was Schlimmeres passieren und war positiv, eine neue, schöne Wohnung werden wir schon finden etc). Nach der FG folgten 2 Monate, in denen ich keine Chance hatte, auf die Beine zu kommen (zuerst ein schwerer Infekt in der Gebärmutter, Krankenhaus, dann ewiges Hin und Her und ständige Kontrollen im KH, am Ende doch noch ein Eingriff unter Vollnarkose, aus allem folgend eine wochenlange "Beißphase" (CMD), ausgelöst durch den Stress, mit Migräne und Schmerzen). Bis Weihnachten war ich komplett aus dem Alltag ausgeknockt, nichts ging. Im Januar dann Zittern, ob sich ein Krebsverdacht bei meiner Mutter bestätigt, die endgültige Diagnose steht noch aus. 

Jetzt zum "Jetzt": Seit Anfang des Jahres nun bin ich wieder voll arbeiten, im Januar sind wir in die neue Wohnung gezogen (die Wohnungssuche lief parallel zu den Schmerzen), "normale" Bahnen eben langsam wieder. 

Was aber, seitdem langsam Ruhe einkehrt, bleibt, ist das Gefühl, neben mir zu stehen, wenig Freude mehr zu fühlen. Ich habe destruktive Gedanken meiner Beziehung gegenüber, lasse meine Frau momentan immer wieder vor eine "eisige" Wand laufen, habe gefühlt so wenig zu geben. Verbinde mit dem Thema SS wenig Positives mehr. Von innen schaffe ich es momentan wenig, wirkliche (Lebens-) Freude zu empfinden. Ich weiß schon, dass Sport, ein Hobby, etc mir gut tun würde, gefühlt kostet mich alles momentan viel Kraft. Wo ist die Leichtigkeit hin? Dann habe ich Momente in denen ich denke, ich sollte weicher zu mir sein, schließlich ist alles noch nicht lange her. 

Kennt ihr das Gefühl, dass um euch herum gefühlt alle davon ausgehen, es müsse doch nun "normal" weitergehen, man sich selbst aber wie im Schildkrötentempo noch nicht so weit fühlt? Dass man nach vorne gucken sollte, der Blick das aber noch nicht schafft? Ich habe das Gefühl, meine Seele hatte aufgrund der Vielzahl an Ereignissen noch nicht ausreichend Zeit, "nachzurutschen" und sich zu erholen. Wenn man das Gefühl hat, man ist am besten alleine, da man diese Stimmung ja auch ausstrahlt und dann wiederum gespiegelt bekommt? Wann und wie kommt die Freude am Leben, am Tun, zurück? Ich erinnere mich so schlecht daran, weiß im Inneren, dass alles gut wird, fühle es aber nicht. Stattdessen destruktive Gedanken und Gefühle. Kann mir mal einer sagen, dass das normal ist ;-)? Freue mich über konstruktive Tipps, Mutmacher, Erfahrungen... vielleicht auch: Was sind eure Freude- und Energiequellen? Danke und einen guten Tag für euch alle!

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#2

RE: Freude nach kraftraubenden Ereignissen?

in Ich bin einfach sehr traurig und möchte reden 26.02.2020 13:14
von Susanne • 4.687 Beiträge | 4705 Punkte

Hallo Fenoglio, herzlich Willkommen! Du hast ja wirklich in der letzten Zeit viel ertragen müssen, das tut mir leid. Ich finde es da nicht verwunderlich, dass da dann die Seele-aus Schutz vielleicht?- auf Gefühls-Standby schaltet. Die Trauer nach einer Fehlgeburt kann in der Mehrzahl der Fälle bis zu 1 Jahr andauern. Wichtig bei der Trauerarbeit ist die Verarbeitung des Verlustes und das Durchlaufen aller Trauerphasen vom Schock bis zum Neuorientieren. Ich könnte mir vorstellen, dass bei Dir die Verarbeitung der FG aufgrund der gesundheitlichen Umstände noch nicht stattfinden konnte. Oder dass Du Dich davor scheust die Gefühle zu zu lassen? Das sind natürlich alles nur Mutmaßungen. Ich finde den Zeitraum der Trauer auf jeden Fall noch nicht nicht angemessen.

Meine Energie ziehe ich aus der Natur. Wenn ich mich mit ihr umgebe, relativiert sich vieles und ordnet sich dem großen Ganzen unter. Wir sind zum Beispiel nach den FG gerne zu einem Kurzurlaub aufgebrochen, mal raus, was anderes sehen, am Meer sein, den Wind um die Ohren pusten lassen, den Sand unter den Füssen spüren und so.

Andere finden Heil im Malen, schreiben z.b. einen Brief an Ihr Sternchen, visualisieren es und reden mit ihm oder tauschen sich hier im Forum aus.

Wichtig ist es aber wirklich die Trauer zu verarbeiten und die Tränen, die zu weinen sind, zu vergießen, denn irgendwann müssen sie geweint werden...

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#3

RE: Freude nach kraftraubenden Ereignissen?

in Ich bin einfach sehr traurig und möchte reden 26.02.2020 22:29
von Marie (gelöscht)
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Mir haben auch Wanderungen in der Natur und viele Gespräche weitergeholfen. Ich habe mich auch einige Wochen komplett gehen lassen und war total antriebslos. Das habe ich aber auch gebraucht. Danach habe ich mir meinen alten Alttag wieder aufgezwungen mit Sport, Hobbies etc. ein fester Rhythmus. Erst war es nur funktionieren, aber es hat mir geholfen wieder Normalität und mittlerweile auch wieder Freude an Dingen zu finden.
Nimm die dir die Zeit zu trauern und es wird eine Weile dauern, wenn gar nichts hilft schadet es aber vielleicht auch nicht dir professionelle Hilfe zu suchen. Wünsche dir alles Gute!!!

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#4

RE: Freude nach kraftraubenden Ereignissen?

in Ich bin einfach sehr traurig und möchte reden 27.02.2020 06:32
von Ophelia Denöf • 198 Beiträge | 199 Punkte

Hallo Fenoglio,

wie schön dass du den Mut gefunden hast dich hier anzuvertrauen und du deine Geschichte mit uns teilst!

Das sind wirklich viele teilweise sehr belastende Ereignisse auf ein mal. Ich nehme an, dass ich mir ungefähr vorstellen kann wie du dich zur Zeit fühlst, du beschreibst sehr gut meinen Gefühlszustand zu dem Zeitpunkt als meine Oma gestorben ist. Ich versuche dir eine kurze Zusammenfassung zu geben, weil du auch so offen und geradeaus in deinem Text gewesen bist.
Ich war noch recht jung, ich kann dir gar nicht mal mehr sagen wie alt ich gewesen bin, vielleicht 12 oder 13, alles was ich weiß ist dass sie wie eine zweite Mutter für mich war. Ich habe ihren kompletten Krankheitsverlauf miterlebt, etliche Krankenhäuser fast täglich besucht bis zu dem Zeitpunkt als mein Opa und meine Mama sie von zu hause gepflegt haben weil keine Chance auf Heilung mehr bei ihr bestand. Sie konnte in unserem Beisein sterben, ich war an dem Tag auch da, durfte sie aber nicht noch ein mal sehen, mich nicht richtig verabschieden. Ich habe lange gebraucht um das alles zu verarbeiten. Ich habe außerdem viel verdrängt, in eine Schublade gesteckt, abgeschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Das kommt dann irgendwann wieder auf dich zugerollt wenn du dem ganzen keinen Raum bietest. Klingt zwar plump aber mir hat damals Musik ganz stark geholfen meinen Tränen Ausdruck zu verleihen weil im normalen Alltag sonst irgendwie kein Platz mehr für meine Trauer war, jeder Mensch hat seine ganz eigene Trauerphase und -länge. Schule, Freunde, andere Verpflichtungen und eine Familie (hier meine ich Onkel u. Tante) die sich nicht Ansatzweise für ihren Tod sondern nur fürs Erbe interessiert hat. Das überrollt einen einfach, du brauchst aber nun mal diesen Platz. Mir wurde auch sehr oft nachgesagt dass ich eine Eisprinzessin gewesen sei, dass man an mich überhaupt nicht rankäme, damals hat mir jedoch der Mut gefehlt mich zu artikulieren, vielleicht auch die Lebenserfahrung und Reife. Das ist sehr sehr wichtig, sonst weiß niemand um dich herum was du fühlst und es kann nicht richtig eingeschätzt werden was los ist. Alleine sein wollen ist auch ok, ich kenne das Gefühl auch noch sehr gut, wichtig wäre hier selbst und ehrlich einzuschätzen ob das qualitative Zeit für dich selbst um dich mit dir zu beschäftigen ist oder ob du dich bewusst von den Menschen in deinem Umfeld abkapseln willst, weil du dich vielleicht unverstanden fühlst oder niemanden mit deiner Trauer oder Launen belasten willst. Letzteres ist ganz gefährlich und führt zu großer Einsamkeit, deine Lieben möchten dich nämlich erleben und sind für dich da, manchmal müssen wir nur erst mal lernen es zuzulassen. Im Nachhinein hätte ich mir für mein jugendliches ich sogar eine psychologische Betreuung gewünscht, weil ich mit niemandem aus meinem Umfeld mehr reden und keine Nähe von niemandem zulassen mochte.
Nach meiner Fehlgeburt, die ich auch wie du im November hatte, gab es in der Beziehung zwischen meinem Freund und mir auch erst mal eine körperliche Ruhephase die von mir ausging. Ich habe nach ein paar Wochen gemerkt dass ich sehr mit mir selbst beschäftigt bin, dass ich gerade nicht so zärtlich sein kann, das habe ich mit ihm besprochen und es war und ist bis jetzt alles gut und kam bei mir dann auch von ganz allein wieder zurück. Zu der Zeit habe ich dann wieder mit Sport angefangen, lernen dem eigenen Körper wieder zu vertrauen. Ich habe außerdem gemerkt wie sehr mir meine Mama in der Zeit der Fehlgeburt gefehlt hat, mit ihr plane ich momentan einen Kunst- oder Töpferkurs, ich habe das Bedürfnis mich künstlerisch mit ihr auszutoben, mich in etwas auszudrücken, gibt es da für dich ein Äquivalent?
Für mein Windei habe ich erst mal einen Jizo gebastelt, eine Art kleiner Buddha, nach einer Tradition aus Japan, ich setze ans Ende von meinem Text (der wahrscheinlich schon wieder viel zu lang geworden ist 😅) einen Link zu einer genaueren Erklärung der Tradition falls dich das interessiert.
Hast du auch etwas für dich, etwas zum anfassen oder anschauen was dich an dein Kind erinnern darf? Ich bin ganz froh darüber etwas zu haben, habe im Herstellungsprozess Rotz und Wasser geheult, das hat gut getan.
Das Beißen ist nun wieder bei dir verschwunden? Das ist ja schon mal ein super Zeichen für eine Besserung.

Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich euch sehr wünsche dass deine Mama gesund ist und bleibt. Aber auch bei dieser miesen Krankheit ist nicht alles sofort Hoffnungslos. Denke dich da jetzt noch nicht in irgendwas fest.

Ich freue mich sehr wieder von dir zu hören und wünsche dir einen wundervollen Tag, liebe Grüße 😊

Link zum Jizo: https://www.piqd.de/liebe-sex/wie-man-in...d-verabschiedet

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#5

RE: Freude nach kraftraubenden Ereignissen?

in Ich bin einfach sehr traurig und möchte reden 27.02.2020 07:05
von Susanne • 4.687 Beiträge | 4705 Punkte

Ophelia, was für ein schöner Text, Hut ab👍🏻👍🏻

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