#1

Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 05.02.2022 13:28
von Nele • 905 Beiträge | 906 Punkte

Der Gedanke kam mir als ich diese Woche mit einer früheren Kollegin beruflich telefonierte. Als mein Sohn bei der Geburt in 40+0 starb waren wir noch in der gleichen Firma. Die Geburt ist jetzt über ein Jahr her und wir haben seitdem schon öfter gesprochen aber wenig privat. Sie fragte wie es mir geht und ich antworte naja geht so. Daraufhin sagte sie wie schön, es geht dir gut.

Ich habe mich gefragt wie lange kann ich noch sagen es geht mir nicht gut? Habe dann nachgedacht wie es mir wirklich geht oder ob es nicht Gewohnheit geworden ist zu sagen mein Sohn ist tot natürlich geht es mir schlecht.

Körperlich geht es mir sehr gut und psychisch wegen unserer kräftezehrenden Babyplanung in der Kiwu und dem ständigen hoffen und bangen mal so mal so. Was die Trauer um meinen Sohn angeht so ist es leichter geworden damit zu leben, er fehlt mir aber ständig, ich vermisse ihn und denke an ihn so dass es sich für mich falsch anfühlt zu sagen "es geht mir gut" obwohl es mir insgesamt nicht eigentlich schlecht geht. Das Leben ist auch anders geworden, ich empfinde viel ganz anders und wann das neue ich sagen kann "ja, es geht mir gut" das sollte doch ich entscheiden dürfen. Ich kann mit mir und der Trauer um meinen Sohn leben, muss ich es den anderen recht machen damit die es auch können?

Von außen haben viele schon nach noch nicht mal einem halben Jahr erwartet, dass es wieder wird wie vorher (als ob das ginge) und wenn ich meine Gefühle geäußert habe und auch was mich stört und wo es schön wäre wenn Rücksicht genommen wird (ja am anfang habe ich noch versucht das zu kommunizieren) da bin ich doch oft auf ratlose Blicke und Unverständnis gestoßen. Auch von meiner Mutter. Oft noch der Hinweis dazu, wenn es dir nicht gut geht hol dir Hilfe, gehe zu einem Psychologen. Was denken die Leute denn warum man mit ihnen darüber spricht? Aber das Thema ist keines worüber die meisten sprechen wollen so wie Fehlgeburten, darüber auch nicht. Damit soll man dann bitte jemand anderen kontaktieren. Natürlich gibt es auch Ausnahmen.

In den Buchempfehlungen ist eines dabei da gehen die Autoren von zehn Jahren aus bis man wirklich im Leben danach voll angekommen ist. Das Paar hat natürlich einen Teenagersohn verloren das ist im Alltag noch viel sichtbarer als ein Ungeborenes, auch wenn dafür alles eingerichtet und vorbereitet war. Die Trauerexpertin Verena Kast sagt, dass nach dem ersten Jahr oft nochmal ein Einbruch kommt. Für uns hier jährt sich der Todestag, es steht der eigentliche Entbindungstermin noch davor an und so viel erinnert an unsere Kinder. Dann haben die meisten Menschen aber schon genug vom Schmerz der anderen und denken schon ein Jahr vorbei, jetzt muss es doch besser werden.

Wie ist und war das bei euch? Wie lange wurde es euch zugestanden zu äußern "es geht mir nicht gut"? Wie empfindet ihr das? c

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#2

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 05.02.2022 14:21
von Hannah • 60 Beiträge | 60 Punkte

Liebe Nele,
Trauer ist so individuell. Ich persönlich finde es anmaßend, jemandem in einer solchen Situation zu sagen wie lange und auf welche Weise man bitteschön zu Trauern habe.
Sowas sagt ja vor allem etwas über die Unfähigkeit dieser Personen aus, mit Trauer und Tod umgehen zu können oder zu wollen.

Für Dich wird doch sowieso nichts mehr wie vorher. Das war so ein traumatisches Erlebnis und die Konsequenz daraus ist so drastisch, ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, ob ich überhaupt irgendwann damit umgehen könnte.
Meine FG passierten in einem sehr frühen Stadium und für mich ist da schon ein sehr großer Unterschied zu Situationen wie Du sie erlebt hast. Da ich so früh kaum jemandem von den Schwangerschaften erzählt habe, spreche ich auch jetzt eigentlich nie darüber. Die wenigen Menschen die davon wissen, fragen allerdings ab und zu nach wie es mir geht.
Und ich selber weiß es eigentlich gar nicht so richtig. Es ist ähnlich wie bei Dir, es geht alles irgendwie so seinen Gang - wobei ich ja bereits eine Tochter habe, sie ist mittlerweile drei Jahre alt und ihre Anwesenheit hat mir immer wahnsinnig geholfen. Die Zeit läuft halt unbarmherzig weiter und für sie muss - und will - ich einfach funktionieren.
Ich finde es bewundernswert wie Du mit dem Verlust Deines Sohnes umgehst. Mich würde es komplett zerstören und die Trauerbewältigung wäre definitiv eine Frage von Jahren und nicht weniger.
Wie ist denn das mit Deinem Mann? Könnt Ihr gut gemeinsam trauern?

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#3

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 05.02.2022 16:27
von Steffi-3009 • 676 Beiträge | 685 Punkte

Liebe Nele,
ich kann dir mit keinem Wort sagen, wie furchtbar leid mir das tut, dass du deinen Sohn bei der Geburt verloren hast. Mein tiefstes Mitgefühl.
Du hast etwas ganz furchtbares erlebt und ich finde, dass es verständlich ist, dass es dir nicht gut geht. Das braucht nun mal seine Zeit. Und ich denke, man hat mal "bessere" tage und mal ganz dunkle stunden.
Nimm dir die zeit die du zum trauern brauchst. So einen verlust verarbeitet man nicht von jetzt auf gleich. Und keiner ist in der Position, dir vorzuschreiben ab wann es dir wieder besser gehen muss. Das ist nun mal ein prozess. Und wenn du sagen möchtest, dass es dir nicht gut geht, dann ist das so!
Mach dir keine gedanken über andere.
Ich hoffe, dass du und dein mann euch gegenseitig eine gute stütze sein könnt.
Fühl dich ganz feste umarmt ❤

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#4

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 05.02.2022 18:35
von Nelke • 2.178 Beiträge | 2188 Punkte

Liebe Nele,

Euch ist das schlimmste passiert, was eine Familie erleben kann. Natürlich geht es dir nie wieder so unbeschwert und zuversichtlich wie vor dem Verlust....das wäre ja auch nicht normal...
Du darfst so lange traurig sein, wie du traurig bist. Das ist eben so.
Das Umfeld kann jedoch mit Trauer nicht gut umgehen. Sie wollen doch alle immer nur hören, dass es jetzt wieder "gut" ist. Hör auf dich und dein Herz.

Mein absolutes Highlight von Unverständnis:
Ca 2 Monate nach meiner letzten Fehlgeburt habe ich versucht einer Freundin zu verstehen zu geben, dass es mir nicht gut geht. Als Antwort kam "ach Lena, sowas will ich von dir aber nicht hören!" Danach erzählte sie mir, dass eine andere Freundin von ihr eine späte Fehlgeburt hatte und in der Wohnung Fotos von ihrem Sternenkind aufgehängt sind. Und DAS sei für SIE ja sooo schlimm gewesen. Die Freundin könne die Fotos ja auch in ein Album stecken.
Das war eine der schlimmsten Erfahrungen, die ich gemacht habe. Nach dem Telefonat habe ich mich nicht wieder bei ihr gemeldet....

Hier gibt es bestimmt ganz viele Frauen mit ähnlichen Erfahrungen. Fehl und todgeburten sind und bleiben vorerst wohl ein Tabuthema, was es für betroffene nicht leichter macht.

Wir sind im Forum füreinander da 🤗

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#5

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 05.02.2022 19:53
von Tija317 • 100 Beiträge | 100 Punkte

Du unendlich Liebe,
ich kann dir deine Frage nicht beantworten, denn dein Schicksal ist zu grausam, als dass ich auch nur im Ansatz begreifen könnte wie viel es dir abverlangt. Aber ich will dir sagen die Art, wie du trotz und durch deinen Schmerz mit deinen Mitmenschen umgehst, dich zu was wirklich besonderem machen. Ich wünschte, ich könnte dir all deinen Schmerz nehmen und deine Wunden heilen. Was ich aber kann ist beten, dass du bald ein gesundes Baby in Armen hältst und dir alles Glück der Welt widerfährt.
Und ich danke dir von Herzen für jedes liebe Wort, jede Aufmunterun, jeden Nachfragen und jedes Teilen von Hoffnung, das du für uns hast.
Ich drücke dich ganz fest in Gedanken und schicke dir Liebe und Kraft!

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#6

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 05.02.2022 20:38
von Susanne • 4.599 Beiträge | 4617 Punkte

Ich denke, da muss man unterscheiden zwischen den Leuten, die es als Höflichkeitsfloskel fragen und es eigentlich nicht wissen wollen, und den Leuten, die es wirklich wissen möchten. Ich habe gerade auch eine Bekannte gefragt, die ihr Kind vor knapp einem Jahr kurz nach der Geburt verloren hat. Sie antwortete, es gäbe gute und schlechte Tage. Das fand ich total nachvollziehbar. Die Trauer wird nie vergehen, man lernt nur mit ihr zu leben. Und manchmal gelingt das schlechter, mal besser.


zuletzt bearbeitet 05.02.2022 20:39 | nach oben springen

#7

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 05.02.2022 21:45
von Marina • 102 Beiträge | 105 Punkte

Liebe Nele,
Es ist ein unfassbar schwerer Schicksalsschlag, den du zu verarbeiten hast, nimm dir alle Zeit die du brauchst. Mit Sicherheit ist es für dein Umfeld schwierig, damit umzugehen aber es geht nur darum, was es für dich und deinen Mann bedeutet und wie ihr in eurer Zeit einen Weg finden könnt, um den Tod eures Kindes zu akzeptieren. Es tut mir so schrecklich leid, dass ihr das erleben musstet. Ich wünsche euch von ganzem Herzen Kraft und Stärke, um es irgendwann akzeptieren und damit leben zu können. Und vor allem wünsche ich euch so sehr, dass ihr es schafft, irgendwann trotz diesem unglaublichen Verlust wieder glücklich sein zu können.

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#8

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 06.02.2022 13:46
von Nele • 905 Beiträge | 906 Punkte

Ihr Lieben, ich danke euch sehr für euer Mitgefühl und die lieben Worte!

Am Anfang habe ich versucht zu sagen was mir schwer fällt und was mir helfen würde weil es ja niemand wissen kann und viele auch sagten sie wissen nicht was tun oder wie sie mit uns umgehen sollen. Es hat mich auch sehr erstaunt als ich plötzlich von so vielen hörte, dass ihnen etwas ähnliches passiert ist oder sie jemanden im näheren Umfeld haben. Dazu noch frühe Fehlgeburten von denen man auch so wenig hört. Ich hatte mir auch wenig Gedanken gemacht vorher, das ganze Thema Schwangerschaft aber sowieso weggeschoben aus Angst nie schwanger zu werden. Deswegen dachte ich das darf doch nicht totgeschwiegen werden und sage auch immer wenn jemand fragt ob wir kinder haben ja, einen Sohn er starb bei der Geburt. Viele fühlen sich überfordert aber es kommen auch immer wieder ganz liebe Worte oder eben ähnliche Geschichten. Mein freund sagt es auch immer offen wenn jemand fragt er ist aber was das angeht weniger sensibel als ich und stört sich an vielem überhaupt nicht, kann das dann schwer nachvollziehen lässt es aber wenigstens so stehen. Am schlimmsten ist es doch wenn an sich wegen seiner Gefühle noch Vorwürfe anhören muss dabei kann man sie ja nicht ändern.

Nelke das gibt's oft, dass sich andere an Bildern von Sternenkindern stören habe ich von vielen gehört. Ich wurde wenig nach Bildern gefragt aber wenn zeige ich sie immer gerne. Würde gerne welche aufhängen aber das ist uns noch zu traurig. Ich hoffe sie zusammen mit den ersten Bildern unseres Regenbogenkindes aufhängen zu können. Vielleicht haben manche da auch die Vorstellung, dass es schlimme Bilder sind dabei ist es doch nicht so. Einfach die Angst vor dem Tod und dem Ungewissen. Und oft fehlt leider die Empathie. Ich habe mich auch von vielen Menschen getrennt von denen ich dachte es sind Freunde. Andere gingen von selbst weil ihnen unsere Situation dann wohl zu schwierig war.

Manche habe ich sicher auch immer mal vor den Kopf gestoßen. Ihr wisst ja selbst man ist in einer Ausnahmesituatuion auf die einen niemand vorbereitet hat und muss damit irgendwie zurecht kommen.

Es ist gut, dass wir uns hier gegenseitig verstehen. Mal ist der eine voller Hoffnung mal der andere und wir können uns gegenseitig unterstützen. ❤️🌈

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#9

RE: Wie lange darf man sagen "es geht mir nicht gut"?

in Dies und Das 06.02.2022 16:44
von Milas mom • 98 Beiträge | 98 Punkte

Liebe Nele,
Wenn es dir nicht gut geht darfst du das natürlich immer sagen. Ich unterscheide da auch sehr wer gerade fragt. Noch erwartet niemand von mir, das es mir „gut“ geht und wenn mich meine Familie oder engen Freunden fragen, dann verstehen sie die Frage immer als „wie gehts dir im Vergleich zu vor 3 Monaten“. Bei weniger engen Menschen oder wenn ich nicht drüber reden möchte sage ich gerne sowas wie es geht mir so lala oder was ich auch sehr passend finde ist die in NRW zumindest sehr gebräuchliche Antwort „es muss“. Es muss ja irgendwie weiter gehen auch wenn ich das in den ersten Wochen nach der Geburt nicht gesehen habe und es fürchterlich unsensibel fand wenn Menschen mir das gesagt haben. Da hatte ich so sehr das Gefühl, dass meine Welt einfach stehen geblieben war und es war mir völlig unverständlich warum sich die Welt der anderen tatsächlich weiter drehte. Mittlerweile gibt es tatsächlich immer öfter Momente in denen ich mich tatsächlich auch freuen kann. Aber die Trauer wird immer da sein und das ist auch ok. Ich sehe die Trauer auch als Ausdruck meiner Liebe für mein Kind und deshalb ist es völlig ok, das sie da ist. Ich würde es nicht anders wollen!
Ich weiß von Paaren aus unserer Selbsthilfegruppe, dass sie auch nach einem Jahr noch oft traurig sind und dass sie sich wünsche, dass das Umfeld ihren Verlust weiterhin präsent hat. Aber das ist es für viele halt nicht. Ich weiß auch noch nicht, wie ich dann damit umgehen werde.

Zu den Bildern. Da habe ich mir am Anfang total Gedanken zu gemacht und wir haben die Bilder, die wir in der Wohnung aufgestellt haben dann aus Rücksicht mit einem Tuch abgedeckt. Mittlerweile machen wir das nicht mehr. Dieses Kind gehört nun mal zu uns. Es hat sich noch niemand bei uns beschwert. Entweder die Menschen schauen sie an und finden dann auch nette Worte oder sie ignorieren sie. Aber das ist dann auch ok.

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