#1

Ein Teil von mir ist mitgestorben...

in Eure Geschichte 22.09.2022 18:27
von NiMa • 1 Beitrag | 1 Punkte

Freundliches Hallo!

Ich bin 43 Jahre alt und nun nicht mehr die, die ich einmal war.
Mit diesem Forum verbinde ich die Hoffnung auf einen Austausch mit Menschen, die nachvollziehen können was in mir vorgeht und vielleicht sogar den ein oder anderen Tipp haben, wie man zurück ins Leben kommt.

Nun zu meiner Geschichte:
Mein Mann und ich sind seit 26 Jahren zusammen und wir haben uns immer eine Familie gewünscht. Durch verschiedenste Dinge in unserem Leben haben wir unseren Kinderwunsch immer wieder nach hinten verschoben. Als wir dann gestartet sind war uns klar das es wahrscheinlich nicht direkt klappt, aber das es 4 Jahre dauern würde, hätten wir nicht gedacht. Egal! Es war soweit! Der Schwangerschaftstest war positiv und um es glauben zu können habe ich an drei aufeinanderfolgenden Tagen einen Test gemacht. Alle positiv. Uns war bewusst wie häufig es zu einer Fehlgeburt kommt und das eine Schwangerschaft mit 41 gewisse Risiken mit sich bringt, aber all das haben wir durch unsere grenzenlose Freude ganz weit nach hinten geschoben. An Weihnachten haben wir es unseren Eltern und den besten Freunden gesagt, die die ganze Zeit mit uns mitgefiebert und gehofft haben, weil wir unsere Freude trotz des frühen Stadiums mit ihnen teilen wollten.
Ich war am Ende der 6. SSW als ich morgens am 29.12.2020 ein wenig Blut bemerkte. Naiv wie ich war habe ich es als unbedenklich abgetan und bin zur Arbeit gefahren. Kurz vor Mittag bemerkte ich erneut Blut und diesmal mehr als zuvor.
Ich habe meinen Mann angerufen, bin nach Hause gefahren und da die Praxis meiner Frauenärztin geschlossen war, sind wir direkt ins Klinikum gefahren. Aufgrund der Corona-Bestimmungen durfte mein Mann mich nicht begleiten.
Nach kurzer Wartezeit in der Notaufnahme wurde ich aufgerufen. Im Behandlungsraum traf ich auf die leitende Oberärztin der Gynäkologie und eine Assistenzärztin.
Ich schilderte ihnen alles und sie begannen mit der Untersuchung. Nun folgten Minuten, die sich tief in meinen Kopf eingebrannt haben. Erst untersuchte mich die Assistenzärztin. Sie wurde dann abrupt von der leitenden Oberärztin unterbrochen und an den Schreibtisch zum PC geschickt. Die Art und Weise wie die beiden Damen miteinander sprachen hätte ich erwartet, wenn es sich bei mir um eine leblose Übungspuppe gehandelt hätte, aber ich war mit allen Sinnen anwesend und bekam zu hören wie die leitende Oberärztin mit dem Blick auf den Ultraschallmonitor zu ihrer Assistenzärztin sagte: "Das ist ein totaler Abort." Während ich in dem Stuhl liegend noch ihre Worte sortierte, rollte sie zum Schreibtisch rüber. Sie unterhielten sich. Über was genau kann ich nicht sagen, weil ich auch da noch überlegte, ob sie gerade wirklich gesagt hat, dass wir kein Kind bekommen werden...
Die leitende Oberärztin stand dann auf, drehte sich zu mir, wiederholte die Worte: "Das ist ein totaler Abort" und fügte hinzu: "Den Rest können sie abbluten lassen." Diese beiden Sätze ließen mich in dem Stuhl erstarren. Der Rest lief wie ein Film ab. Ich zog mich an, verließ den Raum, wartete auf dem Flur auf meinen Arztbrief und wurde dann von der Assistenzärztin mit den Worten: "Ich wünsche ihnen einen guten Rutsch!" verabschiedet. Auf dem Flur suchte ich nach einer Toilette. Ich machte mich sauber und verließ das Klinikum. Ich setzte mich zu meinem Mann ins Auto und meine Tränen machten ihm bewusst was passiert war.
Von diesem Moment an war nichts mehr wie vorher.
Ich habe mich auf der Arbeit in Fortbildungen gestürzt und alles verdrängt. Auch die Trauer. Immer mit der Hoffnung das es nochmal klappt und unser Traum sich doch noch erfüllt.
Im Mai diesen Jahres haben wir den Traum von einer Familie aufgegeben, weil uns die Kraft fehlt Monat für Monat zu hoffen und auch unser Alter (mein Mann ist vier Jahre älter) und der Glaube ans Schicksal spielt eine Rolle. In diesem Moment ist gefühlt auch ein Stück von mir gestorben und die Kiste, die ich ganz weit weg gestellt hatte, in die ich die Fehlgeburt gesteckt hatte, kam plötzlich wieder zum Vorschein.
Seitdem habe ich mich mehr und mehr verändert. Nach außen hin habe ich die fröhliche Fassade aufrechterhalten, aber innerlich bin ich Stück für Stück zerbrochen. Seit wir den Traum aufgegeben haben, fühle ich absolut nichts mehr. Weder positiv noch negativ. Ich sehe meinen Mann und fühle nichts. So geht es mir bei allen Menschen, die mir etwas bedeutet haben. Alles ist neutral und ohne Bedeutung. Ich war ein gefühlvoller und empathischer Mensch und nun ist von dem und von meinen kognitiven Fähigkeiten nichts mehr übrig. Die Tage rauschen an mir vorbei. Ich kann mich auf nichts länger konzentrieren, vergesse vieles, vermisse nichts, brauche nichts und niemanden, erinnere mich an wenig, bekomme nicht viel auf die Reihe und könnte ständig heulen.
Ich habe mir Hilfe gesucht und eine Gesprächstherapie begonnen.
Die Psychologin meint mir fehlt ein Plan B und wir müssen nun unser Leben neu planen.
Das wird bestimmt funktionieren... Irgendwann...

Vielen Dank für dieses Forum! Werde mich jetzt mal in Eure Geschichten einlesen.

Ich wünsche allen viel Kraft und hoffe das alle, die sich ein Kind wünschen, diesen Wunsch erfüllt bekommen!

Liebe Grüße!
Nina

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#2

RE: Ein Teil von mir ist mitgestorben...

in Eure Geschichte 22.09.2022 21:54
von LuiMat • 5 Beiträge | 5 Punkte

Hallo liebe Nina!

Erstmal tut es mir von Herzen Leid, dass auch du das durchleiden musstest und auch noch durchleidest.

Dadurch, dass ihr euch entscheiden habt es nicht weiter zu versuchen, hast du ja gerade mir zwei Verlusten zu kämpfen. Dem Verlust deines Babys und dem Verlust deines Kinderwunsches.

Bei deiner Beschreibung der Ärztin lief es mir klar den Rücken runter. Wieso können Menschen in solchen Situationen nicht wenigstens versuchen empathisch zu reagieren... Das kann ich nicht verstehen...

Ich wünsche dir für die nächste Zeit viel Kraft und dass morgen vielleicht ein einzelner schöner Gedanke dein Herz kurz erhellt!

Alles Liebe! LuiMat

Ich denke, es ist gut, dass du dir Hilfe gesucht hast! Und wünsche dir sehr, dass die Therapie dir helfen wird, einen Plan B für dein Leben zu finden! Um dann nach und nach, mit deinen Verlusten leben zu können.

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#3

RE: Ein Teil von mir ist mitgestorben...

in Eure Geschichte 23.09.2022 08:05
von Susanne • 4.588 Beiträge | 4606 Punkte

Liebe Nina, herzlich Willkommen und mein Mitgefühl für Deinen doppelten Verlust. Es ist immer besonders schwerwiegend und dramatisch, wenn man sich neben Verlust eines Kindes noch mit dem Gedanken auseinander setzen muss, dass man dauerhaft kinderlos bleiben muss. Wie Du schon schreibst, angesichts Eures Alters sind die Ausgangsvoraussetzungen schwierig und die Zeit ist an Euch vorbeigerannt.
Nur der vollständigkeithalber- mit dem Thema Eizellspende/Spermiumspende habt Ihr euch schon auseinander gesetzt, die Option kennt Ihr? Ich würde mich in den Kliniken in Prag und Spanien (IVF Cube o.ä.) informieren. Es gibt Möglichkeiten, aber mit deutlich mehr Aufwand.

Hast Du diesen Thread schon gesehen Mein Kinderwunsch wird vermutlich unerfüllt bleiben Die Beiträge sind zwar schon älter, aber du könntest die Mitglieder auch anschreiben.

Kennst Du das Buch von Christina Diehl? Auch das könnte Inspiration sein.

Fühl dich fest gedrückt, ich kann mir vorstellen wie schwer es ist...

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#4

RE: Ein Teil von mir ist mitgestorben...

in Eure Geschichte 24.09.2022 16:57
von Juliju • 16 Beiträge | 16 Punkte

Hallo liebe Nina.
Es tut mir leid, dass du diese Erfahrung machen musstest.
Manche Ärzte sind einfach schon so abgestumpft, weil sie das tagtäglich sehen, dass sie das als normal ansehen. Aber für die Eine, die da am Untersuchungsstuhl sitzt ist es nicht tagtäglich und normal. Es zerbricht einen.

Nach meiner Fehlgeburt hat mir mein neuer Hausarzt gesagt als ich heulend vor ihm saß "sie können ja eh noch Kinder bekommen", und das nach einer jahrelangen Kinderwunsch(klinik)-Vorgeschichte.
Meine Mutter hat mich 1 Tag nach der Fehlgeburt gefragt, wie es mir geht. Ich hab darauf gesagt "scheisse" und hab daraufhin zur Antwort bekommen "noch immer?".
Als ich sie eine Zeit später darauf angesprochen habe, sagte sie, sie habe die körperlichen Schmerzen gemeint.
Und das Größte kommt jetzt... als ich nach der Ausschabung bei meiner Entlassung die Schwester gefragt habe, ob noch ein Arzt mit mir die OP bespricht, hat sie darauf gesagt "sie sind eh Schwester, das war eine normale Cür, das werden sie ja kennen."

Es gibt viele Menschen, die nicht geeignet sind für die Berufe, die sie ergriffen haben. Man ist oft nur ein Objekt, das halt grad einen Fehler hatte. Wenn man sowas nicht erlebt hat, weiß man gar nicht wie das ist.

Ich sah nach der Fehlgeburt meine Beziehung auch mit anderen Augen. Ob es aus ist oder nicht, mir egal.
Die Beziehung wäre auch fast daran zerbrochen.
Und das obwohl wir schon eine Tochter haben, die wir sehr lieben.
Aber so etwas muss man erst mal aushalten, und dann müssen es alle anderen mit aushalten.

Ich wünsche dir, dass du das alles verarbeiten kannst. Vielleicht meint es das Schicksal nochmal gut mit euch und klappt dann auch. Ich drücke euch die Daumen.
PS hast du schon mal über Adoption nachgedacht?

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#5

RE: Ein Teil von mir ist mitgestorben...

in Eure Geschichte 25.09.2022 14:40
von Dany • 568 Beiträge | 568 Punkte

Hallo Nina,
ich kann gut nachvollziehen, wie du dich fühlst.
Ich selbst bin 38 und hatte in den letzten 1 1/2 Jahren 2 Fehlgeburten in der 11. Woche. Beide Male war beim ersten Ultraschalltermin ein Herzschlag zu erkennen, jeweils beim zweiten Ultraschall nichts mehr. Mein Partner und ich haben viele Untersuchungen machen lassen, alle ohne Befund. Ich nehme an, das habt ihr in den vielen Jahren des Kinderwunschs auch machen lassen?
Ich weiß, bei uns ist noch alles möglich, aber ich bin im Moment so hoffnungslos. Keinen Befund bedeutet für mich, dass es an mir liegt, an meinem Alter, an meinem Körper, an der schlechten Eizell-Qualität. Nach der zweiten Fehlgeburt hatte ich so einen Hass auf meinen Körper, das ist mittlerweile nicht mehr so heftig. Ich fühle mich nicht wie 38, sondern definitiv jünger. Und doch lässt mich mein Körper im Stich. Ich versuche nach Außen hin die Fassade aufrecht zu halten, meine negativen Gefühle nicht zu zeigen. Dabei beherrschen mich Trauer, Leere, Hoffnungslosigkeit, Aussichtslosigkeit. Wenn ich Babys sehe oder Schwangere, fange ich an zu heulen. Ich bin nicht mehr ich. Mein Partner hat nur bedingt Verständnis. Wie ist das bei euch? Redet ihr über eure Trauer, eure (fehlenden) Gefühle?
Leider habe ich für mich noch keinen Ausweg aus dieser Negativ-Spirale gefunden. Über eine Therapie habe ich auch schon nachgedacht. Exzessive Ablenkung, Jobwechsel, Fortbildung, hat alles nichts gebracht oder allenfalls kurzfristig.
Viele Grüße Dany

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#6

RE: Ein Teil von mir ist mitgestorben...

in Eure Geschichte 25.09.2022 15:03
von Susanne • 4.588 Beiträge | 4606 Punkte

Liebe Dany, ich möchte an dieser Stelle nur ganz kurz einwerfen, es kann auch an Deinem Mann liegen. Die Ursache ist viel häufiger, als man meint, dort zu suchen. Daher ist es immer ganz wichtig auch dort zu schauen und mit entsprechenden NEM, Sport, gesunder BMI, kein Rauchen, etc.zu pushen. Daher sei nicht ganz so streng mit dir und gehe nicht so hart ins Gericht. LG


zuletzt bearbeitet 25.09.2022 15:04 | nach oben springen

#7

RE: Ein Teil von mir ist mitgestorben...

in Eure Geschichte 25.09.2022 21:17
von sternchen_37 • 286 Beiträge | 287 Punkte

Liebe Dany!
Kurz von mir auch ein kleiner Einwurf: es ist noch alles möglich UND es muss keinen Grund gegeben haben für deine zwei Verluste. So schwer das auch zu akzeptieren sein mag.
War genau gleich bei mir. Letztes Jahr mit 38 zwei Fehlgeburten innerhalb eines halben Jahres...bei meinem Mann und mir soweit alles ok (wobei wir z.B. die Humangenetik noch nicht bemüht hatten). Beim dritten Versuch nach einer Pause inkl. pimp my egg hat es dann geklappt. Unser Regenbogenmädchen schlummert gerade friedlich neben mir auf dem Sofa.
Es kann klappen, einfach so. Natürlich leider nicht bei allen Familien. Aber es soll ein Funke Hoffnung für dich sein.
Liebe Grüße

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